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0770 - Kind der Finsternis

0770 - Kind der Finsternis

Titel: 0770 - Kind der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Clement
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Gebetsmühle fungierte auch als Meditationsverstärker.
    Nur mit dem logischen Verstand würde Asha Devi niemals erfahren, wo sie während dieses Jahres gewesen war. Vielmehr musste sie ihre Intuition bemühen. Und dabei würde ihr die Mühle helfen…
    Die Inderin hielt sich nicht lange auf. Diese Imbissbude war genauso gut wie jeder andere Ort. Sie legte die Fingerspitzen beider Hände auf den metallischen Zylinder an der Spitze der Gebetsmühle.
    Die positive geistige Energie vieler Mönchsgenerationen hatte diesen Gegenstand mit einer ungeheuren Kraft aufgeladen.
    Asha konzentrierte sich. Sie dachte an ihr Kind, dessen Gesichtchen sie noch nicht einmal gesehen hatte.
    Eine Weile geschah nichts. Dann spürte sie plötzlich den Regen auf ihrer Gesichtshaut! Das war natürlich nur Einbildung oder Erinnerung, denn Asha Devi saß nach wie vor in einem geschlossenen Raum. Hinter der Imbiss-Stuben-Theke dudelte Capital Radio London aus einem uralten Hörfunkgerät. Plötzlich brach die Musik ab. Eine forsche Männerstimme gab eine Verkehrsmeldung durch.
    »Nach einem Unfall gibt es Staus vor der Blackfriars Bridge. Wir empfehlen, über die Southwark Bridge oder Hungerford Bridge auszuweichen…«
    Asha Devi war plötzlich wie elektrisiert. Und das, obwohl sie keineswegs hinter einem Lenkrad saß. Sie berührte immer noch den Metallzylinder der Gebetsmühle. Und während sie das tat, hämmerte die Radiosprecherstimme den Begriff Blackfriars Bridge förmlich in ihre Seele. Es war, als würde ein Tor zu verborgenen Erinnerungen in Ashas Innerem aufgestoßen.
    Plötzlich war es, als würde sie sich selbst beobachten. Die Polizistin sah in ihrer Fantasie die Brücke, die in den Verkehrsnachrichten genannt wurde. Blackfriars Bridge. Aber gleichzeitig erblickte sie auch ihr Spiegelbild in einer nicht geputzten Fensterscheibe. Jenseits des Fensters war die Themse und die Blackfriars Bridge. Aber in dem schäbigen Raum befand sich Asha Devi selbst!
    Die Vision wurde noch intensiver. Die Inspektorin begriff, dass sie noch einmal einen Moment aus ihrer Schwangerschaft durchlebte.
    Sie musste hochschwanger gewesen sein, als sie in diesem Zimmer am Fenster gestanden hatte. Jedenfalls wölbte ihr Bauch sich weit vor. Das Zimmer war mit einer scheußlichen Blümchentapete dekoriert. Die Einrichtung bestand nur aus einem Bett, einem Schrank, einem Tischchen und einem unbequem aussehenden Stuhl. Asha war nackt bis auf ein knielanges weites Nachthemd und einen Slip.
    Die Inspektorin fühlte eine leichte Übelkeit. Auf dem Tisch stand ein Becher mit Kräutertee. Außerdem lag dort ein aufgeschlagenes Taschenbuch. Ein Liebesroman.
    Asha Devi stand am Fenster und betrachtete die Brücke in der Abenddämmerung. Plötzlich öffnete sich die einzige Tür des Raumes.
    Ein Wesen mit einem Tablett kam herein. Auf dem Tablett befand sich ein Teller mit zwei Sandwiches und eine Salatschale. Asha Devi drehte sich apathisch um. Es störte sie offensichtlich nicht, dass ihr das Essen von einem insektenäugigen Dämon mit Reißzähnen und vier Armen serviert wurde!
    Die Inspektorin, die in der Imbiss-Stube auf ihre Erinnerungen meditierte, erschrak über sich selbst. Sie hatte Dämonen immer gehasst, ihr ganzes Leben lang! Und während ihrer Schwangerschaft? Hatte sie sich da die ganze Zeit von diesen Bestien bedienen lassen? Hatten die Monster ihr nach der Entbindung ihr Kind weggenommen?
    Asha versuchte, die Erinnerung noch einmal zu beschwören.
    Aber sie war jetzt zu aufgeregt. Die Bilder verblassten, wollten nicht mehr stark, genug werden.
    Aber das machte nichts. Die Polizistin sprang auf, warf der Greisin hinter der Theke eine Pfundnote hin und stürmte tatendurstig aus der Imbissbude. Der Erinnerungs-Ausblick auf die Blackfriars Bridge war so gut wie ein Foto.
    Asha Devi ließ sich von einem Taxi in die ihr passend erscheinende Gegend fahren. Dort lief sie eine Weile durch die Straßen, kletterte sogar auf Garagendächer und Mauern.
    Endlich hatte sie das Haus gefunden, in dem sie vermutlich während ihrer Schwangerschaft gelebt hatte!
    Asha Devi betrat das Treppenhaus. Die Tür unten war nicht abgeschlossen. Das Gemäuer stand halb leer. Die Inspektorin tippte darauf, dass die Dämonen sie in einer der verwaisten Wohnungen gefangen gehalten hatten.
    Sie trat eine Tür ein, an der kein Namensschild war. Asha scherte sich nicht um Hausdurchsuchungsbefehle. Ganz abgesehen davon, dass sie hier in England als indische Polizistin ein solches

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