0770 - Kind der Finsternis
weitersprach.
»Dein Kind ist nicht Vasu. Vasu wurde bereits geboren. Aber Vasu ist sich selbst viel zu sicher. Er glaubt, weil sein Vater ein Gott ist, könnte ihm nichts geschehen. Daher wird der kleine Krieger, der in deinem Bauch heranwächst, eines Tages Vasu töten.«
»Ich lasse nicht zu, dass mein Kind ein Krieger wird!«, rief Trish plötzlich leidenschaftlich. Für den Moment war jede Angst vor Kali vergessen. »Ich bin für den Frieden und absolut gegen jede Gewalt!«
Die Todesgöttin lachte schäbig. »Darüber hast du nicht zu bestimmen. Dein Kind trägt die Anlage des Zerstörungswillens bereits in sich.«
»Das ist völlig unmöglich. Weder Jim noch ich sind solche blutrünstigen Menschen!«
»Jim? Soll das der Erzeuger deines Kindes sein?«
Trish nickte leidenschaftlich. »Der wahre Vater deines Kindes hat allenfalls die Gestalt von diesem Jim angenommen, um dich nicht zu erschrecken.« Den nächsten Satz schrie Kali Trish ins Gesicht. »In Wirklichkeit sieht der Erzeuger des kleinen Kriegers so aus!«
Durch eine Handbewegung der Schrecklichen entstand eine bildliche Darstellung in der Luft des Blutpalastes.
Trish erschauerte, als sie die dunkle dämonische Gestalt mit den zahlreichen Armen sah, von denen jeder eine Waffe hielt!
***
Gandharvas Planet
Asha Devi wunderte sich.
Plötzlich war sie nackt und lag zwischen seidenen Laken.
Eben noch hatte sie in diesem merkwürdigen Meditationszentrum den Gott Gandharva angebetet. Doch die erfahrene Dämonenpolizistin begriff schnell, was geschehen war.
Ihr eigentlicher Körper war immer noch in London. Aber Gandharva hatte ihre Seele vorübergehend von dort fortgeholt.
Ihr jetziger Körper war feinstofflich, obwohl er ihrem richtigen menschlichen Körper zum Verwechseln ähnlich sah. Etwas Ähnliches hatte Asha Devi einst nach ihrem Tod erlebt. [4]
Allerdings war sie dann doch nicht wirklich gestorben, weil die Götter ihren Tod rückgängig gemacht hatten.
Und diesmal war Asha Devi keineswegs ausgelöscht worden.
Das spürte sie ganz deutlich. Nur ihre Seele war auf Wanderschaft gegangen…
Dieser Ort hier war überirdisch schön. Einen Palast wie diesen würde man gewiss nicht auf Erden finden. Und schon gar nicht in dem kleinbürgerlichen Stadtteil Fulham.
Das Prunkgebäude schien aus Alabaster zu bestehen. Schöne silbrige Löwenstatuen rahmten die Fenster ein. Asha Devi erblickte sich selbst in einem Kristallspiegel, der die ganze gegenüberliegende Wand einnahm. Ihre haselnussfarbene Haut war nackt. Das blauschwarze Haar wallte auf die Schultern und den Rücken, was ihr ein überraschend feminines Aussehen verlieh.
Süßer Duft von Pflanzen, die herrlicher waren als Orchideen, umschmeichelte Ashas Nase. Die wundervolle Umgebung war eines Gottes würdig.
Kaum war der Polizistin dieser Gedanke gekommen, als Gandharva den Raum betrat!
Er musste es einfach sein. Der indische Gott sah genauso aus, wie er von menschlichen Künstlern dargestellt wurde.
Gandharva erschien vor Asha Devi als blendend schöner junger Inder. Er war ebenfalls nackt.
Asha Devi wollte ihm erneut ihre Demut bekunden. Doch er legte sich einfach zu ihr ins Bett und nahm sie in die Arme.
Seine Berührungen gingen der Inspektorin durch und durch.
Und obwohl ihre Seele hier nur mit einem Ersatzkörper ausgestattet war, konnte dieser ihre Empfindungen doch ziemlich gut imitieren…
»Erkennst du mich wieder, Asha?«, fragte der Gott mit leiser Stimme.
»Du bist mir zuletzt in Gestalt von Nakula Kumar erschienen, nicht wahr?«
»Ja.«
»Deine Berührungen sind mir vertraut, o Gandharva. Aber nicht dein Antlitz.«
»Ich wollte die Dinge nicht verkomplizieren, Asha. Darum habe ich die Gestalt des armen Nakula Kumar gewählt.«
»Arm?« Asha Devi konnte ein verächtliches Schnauben nicht unterdrücken. »Außer meinem Vater ist Nakula Kumar einer der reichsten Männer Indiens.«
»Aber er kann keine Söhne zeugen«, erinnerte der Gott.
Plötzlich wurde Asha Devi erst so richtig bewusst, dass sie mit diesem Mann ein Kind hatte! Nein, das stimmte nicht. Er war ja kein Mann, sondern ein Gott. Also kein Mensch. Aber ein männlicher Gott, der sehr wohl eine Menschenfrau schwängern konnte.
Diese Vorstellung war für Asha Devi als Inderin nicht ungewöhnlich. Die indische Mythologie war voll von Halbwesen, die von überirdischen und menschlichen Eltern gleichermaßen gezeugt werden. Sie hätte sich nur niemals träumen lassen, dass ihr so etwas einmal passieren
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