0775 - Haus der Toten
»hast du eigentlich darüber nachgedacht, warum das Haus Williams zu sich geholt hat?«
Hinter ihnen brannte das Geisterhaus jetzt lichterloh, aber keiner der beiden drehte sich danach um.
Zamorra hob die Schultern. »Ich bin davon ausgegangen, dass es sein Instinkt ist, alle Menschen in der Nähe zu sich zu bringen.«
»Okay, aber um was mit ihnen zu machen?«
»Was es mit David und Jack gemacht hat.«
»Richtig«, pflichtete Nicole ihm bei. »Um die Tode von Charles Boreil und John O’Donaghan immer wieder zu inszenieren: Oder in diesem Fall den Mord an Charlotte O’Donaghan.«
»Aber wer war dann Charlotte?«
»Niemand. Wahrscheinlich konnte es neben seinem Kampf mit dir nur noch eine weitere Person übernehmen. Spielte aber auch keine Rolle, weil O’Donaghan in jeder Frau seine Ehefrau gesehen hätte.« Mit sardonisch verzogenem Mundwinkel deutete Nicole auf ihre Schläfe.
»Er hat dich angegriffen?«, fragte Zamorra, der endlich begriff, besorgt und berührte zärtlich die immer noch leicht blutende Wunde.
»Ich habe ihn nicht einmal kommen sehen. Das Haus muss damit angefangen haben, ihn zu übernehmen, als wir noch drin waren. Und ausgerechnet als ich den Kanister gesucht habe und abgelenkt war, hat er dann seinen Verstand verloren. Hat mir mit einem Ast fast den Schädel eingeschlagen.«
Zamorra legte liebevoll den Arm um sie, während sie sich im Schein des Feuers auf die anderen zubewegten.
Hinter ihnen ertönte ein lautes Krachen, als das Geisterhaus in sich zusammenfiel.
Es war vorbei…
***
Die letzten Flammen erloschen allmählich, als die ersten Strahlen der Morgensonne die Überreste des Feuers erhellten. Von dem Anwesen war nur noch ein ausgebrannter Haufen Asche übrig.
Zamorra hatte seine Arme um Nicole geschlungen. Gemeinsam mit Williams blickten sie auf den Scheiterhaufen des Totenhauses. Der Dekan hatte die jungen Leute ins Krankenhaus gebracht, war aber selbst zurückgekommen, um die letzten Augenblicke des Hauses zu erleben. Immerhin ging es Jenny offenbar besser. Als Williams sie verlassen hatte, hatte sie bereits leise mit David und Jack gesprochen.
Zamorra hatte den Verdacht, dass Williams sich vor allem überzeugen wollte, dass das Haus wirklich völlig zerstört war. Seit seinem Angriff auf Nicole brodelte Williams vor unterdrückter Wut und Scham.
Aber während Zamorra so auf die verkohlte Ruine des Anwesens hinabblickte, stellte er fest, dass er beinahe so etwas wie Mitleid empfand. Immerhin war dieses Haus voller Liebe und in der Hoffnung auf eine glückliche Zukunft erbaut worden. In gewisser-Weise war es die einzige Frucht der unglücklichen Ehe von John und Charlotte O’Donaghan.
Obwohl es durch schwarze Magie lebendig geworden war, musste es gar nicht in dem Sinne böse gewesen sein. Er musste an das denken, was Jack über die Folgen eines Traumas gesagt hatte. Es hatte den Anschein, dass das Anwesen sich an den Tod seiner »Mutter« erinnert hatte, obwohl der Mord an Charlotte schon lange stattgefunden hatte, bevor das Haus zum Leben erwacht war.
Die Tode seiner »Eltern« hatten es nicht losgelassen; kaum mit Verstand ausgestattet, ohne ein Verständnis dafür, was um es herum vorging, hatte es diese schrecklichen Momente immer wieder inszeniert wie auf einer makaberen Bühne.
Und dann waren da noch die anderen Opfer von John O’Donaghan. Mit ihrem Blut hatte das Haus offenbar einen Teil von ihnen in sich aufgenommen, hatte sie als gespenstischen Bestandteil seiner selbst weiterleben lassen. So war es nicht nur von seinen eigenen Albträumen gequält worden, sondern zudem von den Erinnerungen der Toten in seinen Eingeweiden.
Ob es nun von sich aus böse war oder nicht - es war jedenfalls kein Wunder, dass dieses seltsame Wesen, aggressiv und wütend auf die ganze Welt, alles um sich herum mit sich zerren wollte.
So oder so konnte sich Zamorra sicher sein, dass es seine Ruhe gefunden hatte. Und für ihn und Nicole würde nach einer letzten Gastvorlesung an der University of Maine der kurze Urlaub von seiner ursprünglichen Aufgabe her beendet sein.
Doch so viel war sicher: Irgendwo da draußen wartete schon die nächste Herausforderung auf ihn…
ENDE
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