0776 - Racheengel Lisa
einen Erfolg haben wollte, er musste die Deckung verlassen und tat es auch. Offen lief er über den Weg. Rechts von ihm lagen die Gräber, und dort irgendwo musste sie seiner Meinung nach stehen.
Nein, sie stand nicht, sie lag!
Serrano blieb wie vor einem Hindernis stehen. Damit hatte er nicht gerechnet, das begriff er nicht, das war ihm einfach zu hoch. Wieso lag die Frau auf dem Grab und mit dem Gesicht nach unten, als wollte sie in die Tiefe kriechen.
Freiwillig hatte sie es bestimmt nicht getan, und er rechnete damit, dass ihr schlecht geworden war.
Nicht gut für sein zweites Vorhaben. Er würde ihr das Geld wegnehmen, aber eine Vergewaltigung…
Irgendwo hatte er schon Skrupel, und der Gedanke, dass sie an einem plötzlichen Sekundentod gestorben war, wollte ihm auch nicht mehr aus dem Hirn.
Er glitt näher.
Die Frau rührte sich nicht.
Serrano trat fester auf, damit seine Schritte auch zu hören waren.
Er brauchte einfach eine Reaktion ihrerseits, die aber erfolgte nicht.
So kam er immer näher, ohne dass die Person reagierte.
Neben dem Grab blieb er stehen, nicht weit von den Füßen der Liegenden entfernt, die über den Grabrand hinwegreichten. Er schaute auf sie nieder.
Ein Teil des bleichen Gesichts schimmerte auf der dunklen Graberde, denn die Person hatte ihren Kopf leicht gedreht und wandte dem Betrachter das Profil zu.
Dreck klebte auf ihrem Gesicht, auch in den Haaren sah er die Krümel. Sie machte auf Serrano einen etwas abgerissenen Eindruck, auch wenn er sie nicht als eine Streunerin einschätzte. Jedenfalls war etwas passiert. Nach einer Handtasche hielt er vergeblich Ausschau.
Wenn sie Geld bei sich trug, dann vielleicht in einer der Manteltaschen oder auch in der Hose.
Er würde es finden.
Mick Serrano schaute sich noch einmal um, bevor er sich nach vorn beugte. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Er und die Frau waren allein.
So und nicht anders sollte es auch sein. Er berührte den Mantel in Höhe der Tasche, fühlte dort nichts und spielte zunächst den barmherzigen Samariter.
»Was ist mit Ihnen, Miss? Kann ich Ihnen helfen?«
Die gab keine Antwort.
»Bitte, Sie müssen mir sagen…«
Dann sprach sie. Er hörte ihre Stimme und vernahm auch die Worte, die ihn irritierten. »Die Engel… ich … ich sehe die Engel. Sie sind bei mir, sie beschützen mich …«
Serrano trat einen Schritt zurück. Er wusste selbst nicht, weshalb er sich plötzlich fürchtete, aber es war der Fall, und diese Furcht strömte in seinen Körper hinein wie eine heiße Flamme, wobei sie nichts in ihm ausließ.
Die vor ihm liegende Frau redete weiter. Nur konnte er diesmal ihre Worte nicht verstehen, doch die Furcht war geblieben. Wie konnte nur jemand ein derartiges Zeug zusammenstammeln? Von irgendwelchen Engeln, die sich hier aufhalten sollten.
Er sah keine, er glaubte auch nicht an Engel, doch jetzt drehte er sich um. Es konnte ja sein, dass die Person den Begriff Engel nur als ein Synonym für etwas anderes benutzt hatte.
Die Umgebung blieb leer. Nur sie und er befanden sich in der Nähe. Weshalb dann die Furcht? Serrano dachte an die Beute. Eine wie sie trug bestimmt Geld bei sich, und er sah auch, wie sie sich bewegte und zunächst die Beine anzog, sodass die Füße sehr schnell auf dem Grab lagen und sie die Sohlen gegen die Kantsteine presste.
Sie wollte sich erheben.
Mick war schneller. Er spielte den Kavalier, fragte mit seidenweicher und besorgter Stimme, ob er ihr behilflich sein könnte, wartete die Antwort nicht ab, sondern griff mit beiden Händen zu, indem er sie unter die Achseln der Frau schob.
»Bleiben Sie ruhig, ich bin bei Ihnen, ich werde Ihnen helfen. Sie brauchen keine Furcht zu haben.«
»Die Engel…«
»Verdammt, was ist mit Ihnen?«
»Du solltest nicht fluchen!«
Serrano lachte. »Das hat mir schon seit Jahren niemand mehr gesagt. Aber ich verzeihe es dir.« Er tastete sie blitzschnell ab und fand in den Taschen tatsächlich eine Geldbörse. Sofort hatte er sie herausgezogen. Der Mantel bewegte sich dabei kaum, und die Frau hatte davon nichts bemerkt.
Er war zufrieden, weil der erste Teil seines Planes geklappt hatte, aber da war noch der zweite. Eine derartig günstige Gelegenheit ergab sich nicht wieder, außerdem machte sie ja keinen so kranken Eindruck.
Bisher hatte Serrano ihr Gesicht noch nicht richtig sehen können.
Das änderte sich, als er die Person herumdrehte.
Er starrte sie an.
Sie schaute auch ihn an, doch Serrano wusste sofort, dass
Weitere Kostenlose Bücher