0784 - Der Seelenangler
war.
»Runter von meinem Thron!«, fauchte Stygia, deren Pendant in der Spiegelwelt der »böse« Zamorra umgebracht hatte, die aber hier noch lebte und in Rang und Würden und voller Kraft war.
Marchosias bebte. Er hatte kurz zuvor allein den Thronsaal betreten und der Versuchung nicht widerstehen können, sich einen Moment auf den Thron des Fürsten - oder der Fürstin - der Finsternis zu setzen. Denn er liebte die Insignien der Macht.
Marchosias glühende Augen starrten Stygia an. Er antwortete nicht. Er schien irgendwie entrückt, völlig abgelenkt.
Aber es war nicht irgendeine, die da mit ihm sprach.
Stygia trat vor, packte den Löwenkopf - und erhielt einen gewaltigen Schlag, der sie zurückschleuderte. Sie taumelte, verlor das Gleichgewicht und setzte sich auf ihr Hinterteil.
Empört sprang sie auf. Das ging denn doch zu weit und konnte nur mit dem Tod in unendlicher Qual geahndet werden.
Marchosias hatte sie geschlagen!
Sie streckte ihr Zepter aus und deutete auf den geflügelten Löwen. Eine grünliche, grelle Lichtbahn zuckte hervor - aber was war das? Statt den Marquis der Hölle zu treffen und ihm das Fleisch von den Knochen zu brennen, wurde der Strahl abgelenkt, verformte sich, wurde eingesogen und absorbiert.
Stygia brach kalter Schweiß aus. So viel Kraft und Macht konnte Marchosias nicht haben. Jemand trat zu ihr. Sie erkannte Calderone, den Ministerpräsidenten der Hölle. Er musste nach ihr den Thronsaal betreten haben. Hochgewachsen, rothaarig, schwarz gekleidet, eine erhabene, beeindruckende und bedrohliche Erscheinung, seit er vom Menschen zum Dämon geworden war und sogar Stygia überflügelt hatte.
Er richtete den gespreizten Mittelund Zeigefinger der Rechten auf Marchosias und donnerte eine Beschwörung, welche den Thronsaal erbeben ließ. Der Knochenthron wankte.
Doch Marchosias zuckte nicht einmal mit der Wimper.
»Das gibt es nicht«, zischte Calderone und wiederholte die Beschwörung verstärkt.
Diesmal lösten sich Deckenteile, barst eine Säule und fielen Fledermäuse tot aus der Luft. Marchosias blieb sitzen.
Die wulstigen Lippen seines Löwenmauls bewegten sich.
Er murmelte: »Ich habe… die Macht.«
Plötzlich brüllte er und reckte die Rechte vor, lachte, wie ein Wahnsinniger.
»Hier, seht ihr es, das ist Luzifers Zepter! Ich bin stärker als LUZIFER, ich bin nun der Herr der Hölle. Erzittert, ihr Würmer, und beugt euch vor mir!«
Calderone und Stygia schauten sich an. Auch alle anderen staunten betroffen.
Denn Marchosias hielt nichts in der Löwenpranke.
Nichts.
***
Frankreich, Zamorras Dorf
Der silbergraue BMW stoppte im Hof vor der Kneipe »Zum Teufel«. Ein holzgeschnitzter Teufelskopf mit mächtigen Hörnern hing über dem Eingang.
Mostache war nicht zu sehen. Ein paar Dorfbewohner standen im Hof oder drückten sich in der Nähe herum, ohne das Lokal zu betreten. Denn drinnen war er, der Teufel oder jedenfalls der ehemalige persönlich, Asmodis, Ex-Fürst der Finsternis und ehemaliger Herr der Schwefelklüfte.
Eine schillernde Persönlichkeit mit zahlreichen Facetten - am Teufel war schon was dran, und wenn es ihn nicht schon gegeben hätte, hätte man ihn glatt erfinden müssen, hatte schon Goethe gesagt. Asmodis konnte sehr launisch sein, und sein Sinn für Humor war skurril.
Worüber er lachen konnte, das trieb manch anderen zur Verzweiflung.
Die in der Nähe stehenden Dorfbewohner sprachen Zamorra und Nicole nicht an, als sie ausstiegen. Robert Lacousse stützte seinen völlig gebrochenen Vater. Pater Ralph, der Geistliche des Dorfes, hatte sich in der Nähe aufgehalten und eilte herbei, um ihm geistlichen Beistand zu leisten.
Malteser-Joe war am Weinberg bei der zerschmetterten Leiche zurückgeblieben. Mit einer neuen Gefahr dort rechnete Zamorra nicht.
Der Meister des Übersinnlichen und seine Lebensgefährtin betraten die rustikal und gemütlich eingerichtete Dorfkneipe. Die Dame des Hauses ließ sie sich nicht sehen, sondern hielt sich in der Küche auf.
Asmodis, ein wenn auch seltener Stammgast, war ihr nicht geheuer. Zamorra war allerdings sicher, dass sie mit dem Ohr an der Küchentür klebte und horchte. Es gab eine Durchreiche für die Speisen, doch diese war weiter vom Montagne-Tisch entfernt, den man, wenn man das zweiflügelige Türchen öffnete, von dort auch nicht sehen konnte.
Madame Mostache war für ihre Neugierde allgemein bekannt.
Im blitzsauberen und sehr gemütlich eingerichteten Lokal standen vom Bänke und Tische,
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