0784 - Der Seelenangler
Spitzen von Daumen, Mittel- und Zeigefinger ein gleichseitiges Dreieck. Er wendete seine Dreifingerschau an. Normalerweise waren die Schwefelklüfte, insbesondere Stygias Thronsaal, abgeschirmt. Doch in dem Fall konnte Asmodis durchdringen.
Abyss der Angler hatte die Barrieren mit seinem magischen Strahl durchdrungen. Die geballte magische Kraft Calderones, Stygias und anderer konzentrierte sich auf den Kampf im Thronsaal. Marchosias hing dort am Haken.
Doch es war, als wollte der Angler einen Piranha aus einem Becken voller solcher herausfischen. So leicht wie bei Lioba und Alain Lacousse war es in diesem Fall nicht. Die Hölle und ihre Dämonen ließen sich nur sehr schwer etwas entreißen.
Es war sozusagen die Generalprobe für Abyss.
In dem Dreieck zwischen Amodis’ Fingern beobachteten dieser, Nicole und Zamorra wie auf einem kleinen Bildschirm, was in Stygias Thronsaal geschah. Sie hörten sogar die Geräusche, rochen schwach den Gestank der Hölle.
Asmodis Dreifingerschau war sehr realistisch.
Man hörte Marchosias Gebrüll.
***
Stygias Thronsaal
Der eitle und machtgierige Marquis der Hölle hatte Stygia aufsuchen wollen. Als er ihren Thronsaal leer fand, konnte er der Versuchung nicht widerstehen, sich auf den Thron der Finsternis zu setzen.
Der hätte ihm - seiner Meinung nach - gut angestanden, obwohl er noch höher hinausstrebte. Dann sah der Löwenköpfige seine Umgebung verschwommen. Er bemerkte eine Schattengestalt, die nicht hier hätte sein dürfen. Es war jedoch kein Meegh und auch kein Unsichtbarer, wie Marchosias an der Ausstrahlung erkannte.
Er begann golden zu leuchten. In seinen Händen hielt er ein mächtiges Zepter, das Abzeichen höchster Höllenmacht. LUZIFER hatte es in der Vergangenheit getragen. Das Eiserne Zepter der Hölle oder Luzifers Zepter war von Legenden umrankt.
Lange Zeit hatte es in den Schwefelklüften verborgen gelegen, war nicht mehr gesehen worden. Wer es hatte, dem gehörte die höchste und absolute, uneingeschränkte Macht. Doch nur der Höllenkaiser selbst oder ein ihm Ebenbürtiger vermochte es anzufassen, ohne dass es ihn verbrannte.
Marchosias zögerte.
»Du bist auserwählt«, flüsterte ihm der goldene Schatten zu. »Heil Marchosias, Höllenkaiser, Erhabenster in den Schwefelklüften, Herr des Universums.«
Marchosias’ durchaus scharfer Verstand war ausgeschaltet oder arbeitete nur noch auf Sparflamme. Die Verlockung war ungeheuer. Er zögerte.
... dann griff er zu, gierig, so wie ein Trinker nach dem Schnaps, der Rauschgiftsüchtige nach der Spritze, wie der Spieler ans Roulett rannte.
»Ich will die Macht!«, heulte er.
Als er das Zepter ergriff, durchdrang es ihn wie ein warmer Strom. Er spürte eine ungeheure Kraft, seine Sinne verschärften sich, er konnte sogar durch die Wände sehen. Er fühlte sich stark genug, von einer gewaltigen Energie erfüllt, dass er sich zutraute, zur Flammenwand hinzustürmen, auf dem Weg dorthin alles auszulöschen, was ihn aufhalten wollte, und Luzifer persönlich zu zerquetschen wie eine Laus.
Marchosias lachte. Der goldene Schatten war zurückgewichen und beobachtete ihn. Der Marquis der Hölle merkte kaum, wie Stygia und ihr Hofstaat hereineilten, noch die folgenden Szenen.
Dann jedoch sah er sie vor sich, diese Würmer, die frech zu ihm waren. Er hielt ihnen das Eiserne Zepter der Hölle entgegen. Gleich musste es wie Thors Hammer aus ihm hervorschmettern und sie zerquetschen.
Doch nichts dergleichen geschah. Plötzlich ernüchtert schaute Marchosias auf seine Hand. Sie war leer. Er hielt nichts darin, nicht einmal einen Strohbund oder einen Federwisch.
Im nächsten Moment raste der goldene Schatten heran und drang in ihn ein. Der Löwenkopf brüllte fürchterlich. Es war ihm, als würde seine dämonische Seele mitsamt allen Innereien aus ihm herausgerissen.
Der Angler wollte ihn wegreißen, aus der Hölle enfemen. Aus seiner Jenseitsdimension holte er die Abyss-Angel ein. Doch er hatte die Rechnung ohne die dämonische Schar im Thronsaal der Fürstin der Finsternis gemacht.
Calderone, der Ministerpräsident der Hölle, brüllte einen Befehl. Mit der ganzen Kraft seiner Magie warf er sich dagegen und verhinderte, dass Marchosias weggerissen wurde. Stygia, die ihn sonst nicht mochte, und ihr Hofstaat unterstützten ihn.
Magie kämpfte gegen Magie. Marchosias war der Leidtragende. Mal verschwammen seine Konturen, war er schon verschwunden, doch Calderone, Stygia und andere, deren Magie sich mit ihrer
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