0787 - Das Mordreptil
war näher an das Hotel herangekommen, und nun konnte Nicole erkennen, dass es sich um einen alten Mann handelte. Sein Haar war schlohweiß. Trotz des prasselnden Regens trug er kein Hemd. Die Tropfen schienen an seinem nackten Oberkörper abzuperlen.
Nicole besaß genug Erfahrung, um zu erkennen, dass mit dem Alten etwas nicht stimmte. Ihre durch jahrelange Auseinandersetzungen mit dem Übernatürlichen geschärften Sinne schlugen Alarm.
Bevor sie jedoch näher darüber nachdenken konnte, was sie konkret störte, machte der seltsame alte Mann eine befehlende Handbewegung. Die Französin zuckte unweigerlich zurück, als ihr klar wurde, dass er auf das Fenster ihres Zimmers deutete.
Im nächsten Moment löste sich auch schon eine zweite Gestalt aus dem regennassen Dunkel. Ein massiger, graugrüner Schatten huschte über den Kiesweg, sprang an der Hotelfassade hoch und begann sich blitzartig zu Nicole hinaufzuarbeiten.
Die Dämonenjägerin konnte gerade noch zurückweichen, als auch schon Glas splitterte.
Nicole war nicht wirklich überrascht, als sie das Monster erkannte. Zischelnd kauerte das unheimliche Geschöpf auf der Fensterbank und machte Anstalten, ins Zimmer einzudringen.
Die Französin konzentrierte sich und sandte einen Gedankenbefehl aus. Im nächsten Augenblick materialisierte auch schon Merlins Stern in ihren Händen. Sie spürte deutlich, wie sich das Amulett erwärmte, setzte es jedoch noch nicht ein. Erst wollte sie wissen, womit genau sie es zu tun hatte.
Überrascht fuhr sie herum, als sie plötzlich die Gegenwart einer zweiten Person hinter sich spürte, und blickte in das Gesicht des knorrigen alten Mannes. Möchte der Himmel wissen, wie er ins Zimmer gelangt war.
»Der Quell der Macht«, murmelte er mit raschelnder Stimme. Seine faltigen Züge verzogen sich zu einem gierigen Lächeln, »Ich dachte, ich hätte seine Spur verloren, doch du hast ihn…«
Er meinte Zamorras Amulett, das lag auf der Hand.
»Das hier willst du?« fragte Nicole und hielt die Silberscheibe fest in den Händen, »Schlag es dir aus dem Kopf!«
Das geheimnisvolle Lächeln des alten Mannes verbreiterte sich. Alarmglocken schrillten in Nicoles Hinterkopf. Sie wurde sich der Präsenz des immer noch lauernden Echsenwesens wieder bewusst.
Ihre Finger glitten über die Hieroglyphen am Rand des Amuletts. Nicole machte sich gedanklich bereit, die Macht von Merlins Stern freizusetzen und wollte sich blitzartig umdrehen.
Dazu kam es jedoch nicht mehr. Weißglühender Schmerz explodierte an ihrem Hinterkopf und löschte ihr Bewusstsein aus.
***
»Kann ich jetzt endlich gehen«, schnauzte Martino und blickte den jungen Beamten, der ihm gegenüber saß, wütend an, »oder soll ich vielleicht die Nacht hier verbringen?«
Der Polizist klappte sein Notizbuch zu und schüttelte den Kopf. »Fürs erste habe ich keine Fragen mehr«, erklärte er.
Martino schob den Stuhl zurück und erhob sich. Immer noch waren zahlreiche Beamte damit beschäftigt, den Raum zu untersuchen. Der Leichnam war mittlerweile bereits abtransportiert worden, was den Italiener irgendwie erleichterte. Auch Zamorra war nicht mehr anwesend.
Der Parapsychologe hatte das Hallenbad in Begleitung von Santoso fast fluchtartig verlassen, nachdem sich sein Amulett auf geisterhafte Weise in Luft aufgelöst hatte. Er wollte in sein Hotel zurück und war offenbar tief besorgt.
Martino konnte immer noch nicht glauben, was er heute abend erlebt hatte. Die Zeitschau, deren Zeuge er geworden war, hielt er jedenfalls für einen büligen Taschenspielertrick.
Der Italiener nickte dem bulligen Polizeichef knapp zu und schickte sich an, den Raum zu verlassen.
»Bleiben Sie über Nacht in der Stadt«, hielt ihn dessen Stimme da zurück. »Ich möchte Sie jederzeit zur Verfügung haben.«
Martino fuhr herum. Seine Augen blitzten. »Verdächtigen Sie mich etwa?«, fragte er barsch.
Ridwan blickte ihn freundlich lächelnd an. Seine Ruhe schien unerschütterlich zu sein. »Nicht wirklich«, antwortete er. »Aber es gibt in diesem Fall mehr als eine offene Frage, und vielleicht fällt Ihnen ja noch etwas ein.«
Martino unterdrückte einen Fluch. »Verstanden«, knurrte er und stapfte grußlos aus dem Raum. Er sah nicht mehr, wie der Polizeichef hinter ihm einem jungen Beamten zunickte und ihm wortlos signalisierte, dem Italiener zu folgen.
Seine Gedanken waren ganz woanders. Für ihn war jetzt klar, dass es jemand gezielt auf ihn und seine Partner abgesehen hatte. Zwei
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