079 - Die Abenteuerin
mir sympathisch ist. Kommt dir denn gar nicht zum Bewußtsein, Mutter, daß Lord Claythorpe entsetzlich selbstsüchtig handelt, wenn er mich zu dieser Heirat zwingen will?«
»Nein, das sehe ich nicht ein«, entgegnete Mrs. Wilberforce ärgerlich. »Aber du bist so dickköpfig und eigensinnig, daß du dir deine eigene Zukunft verdirbst, sowohl gesellschaftlich als auch finanziell. Wenn Lord Claythorpe von deinem Onkel als Testamentsvollstrecker eingesetzt worden ist, kannst du doch nicht daran zweifeln, daß dein Onkel damals nur dein Bestes wollte.«
»Gewiß, der Onkel hat mir sein großes Vermögen hinterlassen, und es wäre ja auch alles sehr gut, wenn nur nicht diese eine Bestimmung in seinem Testament stünde, daß ich niemanden heiraten darf, der Lord Claythorpe nicht genehm ist. Er ist der Verwalter meines Vermögens. Mein armer alter Onkel dachte, er könne so am besten meine Interessen wahren. Er hatte ja einen geradezu kindlichen Glauben an die Ehrlichkeit des Lords, und es ist ihm niemals im Traum eingefallen, daß der seinen eigenen blödsinnigen Sohn für mich aussuchen würde.«
»Wie kannst du sagen, daß der Sohn von Lord Claythorpe blödsinnig ist!« rief Mrs. Wilberforce aufgebracht. »Das mußt du zurücknehmen. Ich gebe zwar zu, daß er nicht zu den intelligentesten Leuten gehört, aber er hat einen guten Charakter. Außerdem erhält er eines Tages den Titel Lord.«
»Soweit ich es beurteilen kann, ist das sein einziger Vorzug. Du kannst die Sache betrachten, von welcher Seite du willst, es bleibt immer dasselbe: Wenn ich Francis Claythorpe nicht heirate, verliere ich ein großes Vermögen. Unter diesen Umständen kann es sich der Lord wohl leisten, mir eine Halskette im Wert von fünfzigtausend Pfund zu schenken!«
Mrs. Wilberforce strich ihr Kleid glatt. »Die Bestimmung im Testament war sehr klug, mein liebes Kind. Du hättest sonst womöglich diesen entsetzlichen Jamieson Steele geheiratet. Wie kann man nur an einem solchen Menschen Gefallen finden! Ein ganz armer Ingenieur - und außerdem noch ein Betrüger!«
Joyce sprang erregt auf, ihre Wangen färbten sich dunkelrot. »Mutter, das darfst du nicht sagen!« erklärte sie scharf. »Jamieson hat die Unterschrift Lord Claythorpes nicht gefälscht. Der Scheck, den Jamieson erhielt, war wirklich von Lord Claythorpe unterzeichnet. Wenn der später seine eigene Unterschrift nicht anerkannte, so tat er das aus einem ganz gemeinen Grund. Er wußte, daß ich Jamieson liebte, und deshalb wollte er ihn ruinieren. Es war grausam von ihm - entsetzlich grausam!«
Mrs. Wilberforce hob protestierend die Hände. »Wir wollen nicht wieder eine Szene machen. Aber vergiß nicht, Joyce, was all das Geld für mich bedeutet. Wie viele Jahre habe ich gespart und gehungert, um dir eine gute Erziehung zuteil werden zu lassen, damit du später einmal eine Stellung in der Gesellschaft einnehmen kannst. Vielleicht war die Versuchung für Jamieson zu groß.«
»Aber ich sage dir doch, daß er es nicht getan hat!« rief Joyce empört. »Lord Claythorpe hat die Beschuldigung gegen ihn nur erhoben, um ihn aus dem Weg zu schaffen und einen Grund zu haben, mir die Heirat mit ihm abzuschlagen.«
Mrs. Wilberforce zuckte die Schultern. »Es hat keinen Zweck, die Frage noch weiter zu erörtern. Am besten ist es, wir vergessen das alles. Jamieson ist von der Bildfläche verschwunden, und ich hoffe nur, daß er ein neues, ehrliches Leben in den Kolonien begonnen hat.«
Joyce trat ans Fenster und sah hinaus. Sie wußte nur zu gut, daß es sinnlos war, mit ihrer Mutter darüber zu reden. Deshalb wechselte sie das Thema.
»Warum hast du vorhin eigentlich über Jane Briglow gesprochen? Hast du sie vielleicht in der Stadt getroffen?«
Die Mutter schüttelte den Kopf. »Nein, das nicht, aber in der letzten Nacht habe ich lange nachgedacht, und bin zu der Überzeugung gekommen, daß Jane mit diesen Verbrechen in Verbindung stehen muß. Nach all den Beschreibungen, die ich von der Quadrat-Jane gelesen habe, muß ich zu dem Schluß kommen, daß sie die Einbrecherin ist.«
Joyce lachte und fragte sarkastisch: »Meinst du vielleicht auch, daß Jamieson mit ihr im Bunde ist?«
Mrs. Wilberforce biß sich auf die Lippen. »Joyce, du hast eine sehr scharfe Zunge. Mir tut der arme Francis Claythorpe leid.«
Das Mädchen sah wieder in den Park hinaus, während Mrs. Wilberforce sie ängstlich betrachtete.
»Joyce, du bist ein merkwürdiges Mädchen. Morgen soll deine Hochzeit
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