0794 - Das Zauber-Zimmer
Wüste.
Das Unheimliche hatte sich hier verdichtet, und es verschwand auch nicht, als der Kommissar die Tür aufzog, um die ersten Schritte in die Halle zu lenken. Erblieb schon sehr bald stehen, hielt nach seinem Freund John Sinclair Ausschau. Der war nicht zu sehen, dafür entdeckte Harry Stahl die frischen Abdrücke im Staub des Bodens und konnte verfolgen, welchen Weg der Geisterjäger genommen hatte. Er war nach rechts gegangen, wo eine zweite Halle die erste berührte und nur durch eine zweiflügelige Tür getrennt war.
Stahl blieb in der ersten Halle. Er hatte mit John nichts Konkretes abgesprochen, eigentlich konnte jeder tun und lassen, was er wollte, doch der Kommissar wollte eigentlich nichts auf eigene Faust unternehmen und auf John warten.
Nicht dass er Angst gehabt hätte, aber diese Atmosphäre ging ihm doch gegen den Strich, und er bewegte sich zunächst auf Zehenspitzen vor.
Ihn interessierten die hohen Fenster am Ende der Halle. Dort liefen die Wände dann in einem Halbkreis zusammen. Zwischen den Fenstern hingen noch die löchrigen Vorhänge und pendelten mit ihren Säumen über den Boden.
Harry ging durch eine beklemmende Stille. Auch er hatte den Eindruck, belauert zu werden, drehte sich während des Gehens einige Male um, sah aber nichts, auch keinen schnell hinweghuschenden Schatten, sodass es für einen Beweis nicht ausreichte und es bei ihm nur beim Gefühl blieb.
Vor der mittleren der drei großen Scheiben stoppte er. Sein Optimismus schwand, als er erkennen musste, dass es kaum möglich war, einen Blick nach draußen zu werfen. Zu dicht klebte der Staub auf der Scheibe, und zwar von beiden Seiten.
Um durch das Glas schauen zu können, musste er einen Teil der Scheibe frei wischen. Er nahm dazu sein Taschentuch, bis die Lücke groß genug war, doch was er sah, enttäuschte ihn.
An der Rückseite des Hotels, wo früher einmal der Garten gewesen war, lag ein ungepflegtes Gelände, in dem Unkraut wahre Urstände hatte feiern können.
Sehr hohes Gras umwucherte die kahlen Sträucher, die sich zu einem dichten Gestrüpp zusammengefunden hatten und einen regelrechten Wall bildeten.
Auf dem Boden lag der Schnee an einigen Stellen wie ein zerrissenes, weißes Leichentuch. An manchen Büschen hatte er sich noch halten können, er lag dort wie dicke Pappe, und die hereinbrechende Dämmerung schickte ihre ersten Schatten über den verwilderten Garten.
Keine Spur von Leben. Nicht mal Vögel segelten durch die klare Winterluft. Am Himmel sah Harry den letzten Rest der untergehenden Sonne.
Er löste sich von seinen leicht schwermütigen Gedanken, wobei ihm auffiel, dass er von John Sinclair, noch immer keine Spur entdeckt hatte.
Durchsuchte der Geisterjäger das Hotel?
Zuzutrauen war es ihm. Außerdem hatte er lieber allein gehen wollen, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen, und nichts hatte ihn dabei stören dürfen.
Harry Stahl drehte sich wieder um – und erstarrte!
Etwas fiel von der Decke.
Er sprang zurück, doch er hätte auch stehen bleiben können, denn die schrecklich zugerichtete Leiche hätte ihn sowieso nicht getroffen.
Sie landete mit einem harten Aufprall am Boden, wirbelte zusätzlichen Staub auf, und der Kommissar war so überrascht worden, dass er den lauten Schrei nicht hatte unterdrücken können…
***
Nein, es war nichts passiert. Zumindest nicht mit Harry Stahl. Ich fand ihn wie einen zur Säule erstarrten Menschen auf der Stelle stehend und auf einen bestimmten Gegenstand schauend, bei dessen Anblick auch mir anders wurde.
Vor seinen Füßen lag ein Toter. Und ich konnte auch sehen, wo er hergekommen war, denn genau über der Leiche zeichnete sich ein Loch in der Decke ab. Dort hatten morsche Balken oder was auch immer nachgegeben und diese makabre Last entlassen.
Harry sagte kein Wort. Er schaute mich nur an, und allmählich kehrte die Farbe in sein Gesicht zurück.
»Du bist unverletzt?«, fragte ich ihn. Er konnte nur nicken.
Ich ließ ihm Zeit, sich zu erholen, und Harry nahm auf einem in der Nähe stehenden Sessel Platz, wo er hocken blieb und den Kopf schüttelte, weil er das Geschehene noch nicht fassen konnte.
Ich kniete mich neben die Leiche, um sie zu untersuchen. Es war eine männliche Person, die dort lag. Sie musste schon einige Zeit tot sein, denn sie befand sich bereits im Zustand der Verwesung. Das Fleisch auf ihrem Gesicht sah gelblich aus, und an einigen Stellen schimmerten dunkle Flecken wie Beulen.
Der Tote roch auch, was mir
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