0794 - Das Zauber-Zimmer
Fontänenartig schoss dickes, rotes Blut aus den Löchern hervor, das gegen die Decke klatschte, bevor es wieder zurückfiel.
Harry schloss die Augen. Seine Beine zitterten, und er befürchtete, den Halt zu verlieren.
Doch er blieb stehen, und als er die Augen wieder öffnete, war alles normal.
Die Stufen zeigten keine Löcher. Er sah auch kein Blut mehr, und das schwarze Holzpferd stand einsam und verlassen vor der ersten Stufe, als wollte es auf seine Reiterin warten.
Der Kommissar begriff diese Welt nicht mehr. Sie war ihm einfach zu fremd, aber er beugte sich der Gewissheit, dass er nicht der einzige im Hotel war.
Die Treppe hatte erreicht, was sie wollte. Kommissar Harry Stahl betrat sie nicht mehr, er blieb zunächst oben und schaute wieder in das hellere Licht.
Es hatte viel von seiner Intensität verloren, aber Stahl wollte trotzdem wissen, was es war. Existierte das Tor in eine andere Dimension noch? Er griff in seine rechte Hosentasche und holte ein Einwegfeuerzeug hervor. Für einen Moment schaukelte es auf der Handfläche, dann hob er die Arme und warf das Feuerzeug auf den Lichtschein zu. Harry rechnete fest damit, dass es darin verschwinden würde wie das Mädchen oder John Sinclair, aber er irrte sich.
Das Feuerzeug traf genau dort, wo er es hatte haben wollen, aber es prallte gegen die Wand und durch die Gegenreaktion wieder zurück. Dicht vor seinen Schuhspitzen blieb es liegen. Der Kommissar bückte sich und hob den schmalen Gegenstand wieder auf. Er steckte ihn weg. Seine Gedanken rasten dabei.
Warum war es zu ihm zurückgeprallt? Hatte sich das Tor zur anderen Dimension verschlossen? Es musste einfach so gewesen sein, denn für ihn gab es keine andere Lösung. Das hieß gleichzeitig auch, dass ihn die andere Welt nicht wollte.
Er sollte hier im Hotel bleiben.
Harrys Augen brannten. Sein Herz schlug schneller, und seine eigene Position gefiel ihm immer weniger. Kalt rann es ihm den Rücken hinab. In seiner Umgebung stimmte etwas nicht, obwohl sich äußerlich nichts verändert hatte.
Er schaute sich um.
Zuerst nach rechts.
Der lange Flur zog sich so weit hin, dass er ein Ende nicht erkennen konnte. Auch hier zweigten Türen ab, die allesamt geschlossen waren. Früher einmal hatten in den Zimmern die Gäste gewohnt, aber heute…?
Er änderte die Blickrichtung.
Der linke Gang lag ebenso leer wie der rechte. Die Dunkelheit schwamm darin wie finsterer Nebel. Stahl überlegte, ob er seine Taschenlampe hervorholen sollte, um wenigstens einen Teil des Flurs auszuleuchten.
Er zögerte, er traute sich nicht – was war der Grund?
Noch hörte oder sagte er nichts, aber da war etwas.
Ein Geräusch…
Nein, Geräusche!
Ein leises Flüstern, gleichzeitig vermischt mit einem Knarren, als wären mehrere Türen auf einmal geöffnet worden. Und die Geräusche drangen aus den beiden Gangseiten an seine Ohren.
»Verdammt!«, keuchte der Kommissar. »Ich habe doch in einige Zimmer hineingeschaut. Sie… sie waren leer …«
Was war geschehen? Das musste er wissen. Harry wunderte sich über sich selbst, als er die Lampe hervorholte und sie, ohne lange zu überlegen, einschaltete. Er leuchtete nach links, ein breiter Lichtarm stieß hinein in die Dunkelheit und hinterließ einen hellen Streifen.
Der Kommissar schwenkte den Arm, damit er dort hinleuchten konnte, wo sich die Türen befanden, und zwar immer nur an einer Seite.
Sie standen offen! Die einzelnen Zimmer entließen ihre Gäste. Im nächsten Moment standen dem Kommissar vor Grauen die Haare zu Berge, als ihm der Toten- und Modergeruch entgegenwehte…
ENDE des ersten Teils
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