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0795 - Vater, Mutter, Satanskind

0795 - Vater, Mutter, Satanskind

Titel: 0795 - Vater, Mutter, Satanskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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waren sitzen geblieben, aber sie hatten ihre starr wirkenden Körper nach vorn gebeugt, zusätzlich die Arme so lang wie möglich ausgestreckt und bewegten ihre Finger in einer zeitlupenhaft anmutenden Langsamkeit, als Rollten sie schon nach der Aura des Kindes fassen.
    Das Mädchen tat ihnen den Gefallen und setzte sich wieder in Bewegung. Es ging den ersten Schritt. Dabei hob es den Dolch an und tat etwas, das den Kommissar anwiderte. Es hob die Klinge an, legte sie dann quer vor den Mund und presste für einen Moment seine Lippen dagegen.
    Zahlreiche Augen schauten zu, und es kam zu einer explosionsartigen Reaktion, denn die Masse der wie tot wirkenden Menschen stöhnte gemeinsam auf.
    Die Kleine ließ den Dolch sinken. Hatte sich das Mädchen dabei selbst an den Lippen verletzt? Es lächelte, und Harry glaubte, einige Blutperlen zu sehen.
    »Dein Blut…«
    Die beiden Worte klangen wie ein finsterer Gesang. Die Alten wussten jetzt, dass sie vom Ziel nicht mehr weit entfernt waren, und jeder wollte der Erste sein, der von dem Mädchen berührt wurde.
    »Ich…«
    »Ich…«
    »Nein, ich…«
    »Komm zuerst zu mir…«
    Sie waren wie von Sinnen, und sie nahmen keine Rücksicht mehr aufeinander. Jeder wollte der Erste sein. Das Verlangen war unersättlich, sie kamen einfach nicht mehr los von diesem Grauen, für das sie so lange existiert hatten.
    Die Kleine mit den blonden Haaren, dem runden Kindergesicht und den dämonischen Augen blieb stehen. Sie schaute sich um. Dabei hob sie ihren Arm und führte ihn zusammen mit der Klinge in einen Halbkreis. Von oben her strahlte das Licht gegen sie, es wob einen helleren Vorhang um die kleine Gestalt, und es hinterließ auch auf dem Fußboden einen matten Schein, gegen den der Schmutz nicht ankämpfen konnte. Mit der Dolchspitze wies sie auf die verschiedenen Männer und Frauen. Immer dann, wenn sich eine auserwählt glaubte, zuckte genau diese Person in die Höhe, musste sich aber wieder enttäuscht zurückfallen lassen, wenn der Dolch weiterwanderte.
    Das Mädchen ging wieder einen Schritt, dann noch einen, und es hatte sich jemand ausgesucht.
    Es war eine Frau, die Harry Stahl relativ gut kannte, denn er hatte sie mit ihren weißen, pudrig wirkenden Haaren im Flur aus unmittelbarer Nähe gesehen.
    »Du!«
    Die Frau schnappte nach Luft. »Ich… wirklich ich?«, schrie sie mit sich überschlagender Stimme.
    Das Kind nickte.
    Die Frau konnte es nicht fassen. Grell und triumphierend lachte sie auf und schleuderte dabei ihre Arme in die Höhe. »Habt ihr es gehört und gesehen?«, schrie sie den anderen zu. »Mich hat sie auserwählt. Ich bin die Erste von allen. Ich bin die Person, die sie sich ausgesucht hat, und ich werde ihr folgen. Sie wird mir den Weg ins Paradies zeigen, in die ewige Jugend.« Die Frau warf sich so weit wie möglich auf dem Sessel zurück, schleuderte die Beine hoch und raffte ihre Röcke, denn sie trug noch zwei unter dem sichtbaren.
    Der Kommissar verstand die Welt nicht mehr. Das war ihm auch unmöglich, denn er gehörte nicht zu ihnen.
    Das Mädchen nickte.
    Die alte Frau hatte die Arme ausgestreckt. Durch die heftigen Bewegungen zuvor war ihre Perücke verrutscht, und sie sah aus wie ein lebendiges, abstraktes Gemälde, das von einem irren Künstler hinterlassen worden war. Puder und Schminke hatten auf ihrem Gesicht eine dickflüssige Schicht gebildet, die den Gesetzen der Erdanziehung folgte und an den Wangen, der Stirn sowie über den Nasenrücken hinweg nach unten rann, bevor sie die Lippen erreichte und diese widerlich verschmierte, aber auch noch weiter bis zum Hals floss, um letztendlich in den Kragen des staubigen Ballkleides zu rinnen.
    »Ich komme zu dir…«
    Die Alte jubelte. Bei ihr jedoch war es nicht mehr ein schrilles Krächzen.
    Mit dem nach vorn gestreckten Messer ging die Kleine auf die alte Frau zu. Es sah aus, als wollte ein Kind seine Urgroßmutter besuchen, die man für kurze Zeit noch aus dem Grab geholt hatte, damit sie die Urenkelin in die Arme schließen konnte.
    Aber das Mädchen entwischte den fangbereiten Händen der Alten. Es hatte etwas anderes vor, drehte sich zur Seite, tauchte dabei unter und kam an der linken Seite des Sessels wieder hoch. Das Mädchen stand neben der alten Frau. Die drehte den Kopf. Sehr heftig sogar. Eigentlich hätte sie der Messerklinge nicht entwischen können, doch die Kleine zog die Waffe hastig zurück.
    Das wiederum war der weißhaarigen Frau nicht recht. »Stich zu!«, bettelte sie.

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