0799 - Gefangen in Choquai
Zittern in ihrer Stimme war unüberhörbar.
»Ich muss ihm folgen«, sagte Fu Long. Sanft strich er seiner Gefährtin über die Wange. Die zärtliche Berührung versetzte ihm einen Stich. Vermutlich war dies der letzte intime Moment, den sie miteinander teilten. Sie wussten beide, dass Fu Long kaum eine Chance hatte, zurückzukehren. »Zamorra ist in Choquai ohne meine Hilfe verloren. Doch das ist gar nicht das Wichtigste. Jemand muss Kuang-shi aufhalten. Jemand, der den Hong Shi beherrscht.«
Das magische Kleinod sah wieder aus wie ein ganz gewöhnlicher schwarzer Stein. Der Hong Shi lag auf dem Altar, der erneut für das Ritual vorbereitet war. Nur dass jetzt Fu Long auf dem Tisch liegen und Jin Mei die Zeremonie durchführen würde. Die Vampirin hatte sich als aufmerksame und kluge Schülerin erwiesen, aber Fu Long wusste nicht, ob die Zeit gereicht hatte. Er selbst hatte Jahre gebraucht, um das Ritual zu studieren.
Dass die Grenzen zwischen den Welten brüchig geworden waren, erleichterte den Übergang nach Choquai. Allerdings gab es ein erhebliches Problem. Da das erste Ritual gestört worden war, wusste Fu Long nicht genau, wann Zamorra in Choquai angekommen war. Es war deshalb durchaus möglich, dass er selbst Jahre vor oder nach dem Parapsychologen in Kuang-shis Reich eintraf. Hoffentlich lebst du noch, wenn ich komme, alter Freund.
»Bist du bereit?«
Fu Long nickte. Er umarmte seine Gefährtin ein letztes Mal, dann legte er sich auf den mit einem roten Tuch bedeckten Schreibtisch. Die rote Seide war mit geheimnisvollen Schriftzeichen beschrieben, die entfernt an Chinesisch erinnerten. Nach einem genau vorgegebenen Muster waren im Raum Kerzen verteilt und goldene Schalen, in denen magische Kräuter verbrannten.
Der Vampir schloss die Augen und konzentrierte sich. Er hörte, wie Jin Mei die uralten Formeln murmelte, die er ihr beigebracht hatte, und dann spürte er, wie sich um ihn ein magisches Kraftfeld aufbaute.
Im nächsten Augenblick sah Fu Long das grelle Licht der Sonne.
***
Choquai
»So, du willst also Kuang-shi sprechen?« Wu Huan-Tiao gluckste fast vor Vergnügen. »Mal sehen, was noch von dir übrig ist, wenn er mit dir fertig ist, Menschlein.«
Der pavianköpfige Zauberer versetzte Tsa Mo Ra einen kräftigen Tritt, der ihn zu Boden schleuderte. Wortlos rappelte sich der Gefangene wieder auf und durchschritt mit gesenktem Kopf die riesige Halle, während Wu Huan-Tiao und Shao Yu an der Tür zurückblieben.
Nachdem die beiden Zauberer die Überraschung verdaut hatten, dass er jedes ihrer Worte verstand, hatten sie ihn herbringen lassen. Die prachtvolle mehrstöckige Pagode, die alle anderen Gebäude der Stadt an Größe und Schönheit übertraf, war offenbar Kuang-shis Palast. Betreten hatten sie das Gebäude durch zwei riesige Flügeltüren, die bis in den Himmel zu ragen schienen.
Auf ihrem Weg waren sie nicht nur unzähligen Vampirsoldaten begegnet, sondern auch Kriegern einer anderen Rasse. Groß gewachsenen, kahlköpfigen Männern und Frauen, deren Lederuniformen mit Wolfsfell verziert waren.
Sie hatten keine spitzen Eckzähne, aber irgendetwas sagte Tsa Mo Ra, dass sie ebenfalls keine Menschen waren. Vielleicht lag das an dem lauernden, fast raubtierhaften Blick, mit dem sie ihn ansahen. Sie trugen lange dünne Stäbe aus Holz. Tsa Mo Ra ahnte, das diese so harmlos wirkenden Hölzer in den Händen dieser unheimlichen Krieger tödliche Waffen waren.
Am Eingang zum Thronsaal erwartete ihn der nächste Schock. Die Tür wurde von vier weiteren Kriegern mit Holzstäben bewacht - doch ihre Köpfe glichen denen von Wölfen. »Tulis-Yon«, hatte ShaoYu leise erklärt. »Sie sind Gestaltwandler.«
Die Wolfskrieger hatten sie reglos passieren lassen, und jetzt befanden sie sich mitten im Heiligtum von Choquai. Aus den Winkeln seiner zu Boden gerichteten Augen bemerkte der Gefangene, dass der Thronsaal fast leer war. An seinem Ende gab es eine Art Podest, auf dem der Thron des Herrschers von Choquai zu stehen schien.
Doch wer oder was darauf saß, konnte Tsa Mo Ra nicht erkennen. »Was immer auch geschieht, Mensch, sieh nicht auf, bevor Kuang-shi es dir erlaubt. Er würde dir dieses Sakrileg nie verzeihen«, hatte ihm ShaoYu ins Ohr geflüstert, bevor der pavianköpfige Zauber ihn zu Boden gestoßen hatte.
Obwohl es Tsa Mo Ra zutiefst widerstrebte, sich so kriecherisch zu verhalten, hielt er sich besser an Shao-Yus Rat. Langsam ging er weiter. Er spürte mit jedem weiteren Schritt, wie
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