08-Die Abschussliste
auf den Steinplatten. Aus der Tür war ein halbmondförmiges Stück herausgerissen. Der Wind hatte Holzsplitter hierhin und dorthin geblasen, und zu einem kleinen Haufen zusammengeweht.
»Was nun?«, fragte Summer.
Hier gab es kein Sicherheitssystem. Keine Alarmanlage. Keine Fensterkontakte, keine Drähte. Kein automatischer Anruf beim nächsten Polizeirevier. Keine Möglichkeit festzustellen, ob die Eindringlinge längst fort waren oder sich vielleicht noch im Haus befanden.
»Was nun?«, wiederholte Summer ihre Frage.
Wir waren unbewaffnet. Bei einem offiziellen Besuch trägt man zum Dienstanzug keine Waffe.
»Sie gehen nach vorn und behalten die Haustür im Auge«, sagte ich. »Für den Fall, dass jemand rauskommt.«
Sie setzte sich wortlos in Bewegung, und ich wartete, bis sie Position bezogen hatte. Dann stieß ich die Tür mit dem Ellbogen auf und betrat die Küche. Drückte die Tür zu und lehnte mich dagegen, damit sie geschlossen blieb. Dann stand ich reglos da und horchte.
Nirgends ein Geräusch. Das Haus war totenstill.
In der Küche roch es schwach nach gekochtem Gemüse und Kaffee. Sie war ziemlich groß und weder aufgeräumt noch unaufgeräumt. Ein häufig benutzter Raum. Eine weitere Tür rechts vor mir an der Rückwand führte ins Haus. Sie stand offen. Ich konnte ein kleines Dreieck aus gebohnertem Eichenparkett erkennen. Ein Flur. Ich bewegte mich sehr langsam ein Stück weiter vorwärts und nach rechts. Hinter mir schlug die Tür wieder. Jetzt konnte ich mehr von dem Flur sehen. Ich vermutete, dass er geradewegs zur Haustür führte. Auf der linken Seite machte ich eine geschlossene Tür aus. Wahrscheinlich befand sich dahinter das Esszimmer. Rechts lag ein Arbeits- oder Herrenzimmer, dessen Tür offen stand. Ich konnte einen Schreibtisch, einen Armstuhl und Bücherregale aus dunklem Holz erkennen. Als ich ein paar vorsichtige Schritte nach vorn machte, entdeckte ich eine tote Frau auf dem Parkett im Flur.
3
Die Tote hatte langes graues Haar. Sie trug ein kunstvoll besticktes Nachthemd aus weißem Flanell und lag auf der Seite. Ihre Füße berührten fast die Schwelle zum Arbeitszimmer. Die Haltung ihrer Arme und Beine ließ vermuten, dass sie gerannt war. Halb unter ihrem Körper begraben lag eine Schrotflinte. Eine Seite ihres Kopfes war eingedrückt. Ich konnte in ihrem Haar geronnenes Blut und Gehirnmasse sehen. Weiteres Blut bildete eine Lache auf dem Eichenparkett. Es war dunkel und klebrig.
Ich trat auf den Flur hinaus, blieb eine Armlänge von ihr entfernt
stehen, ging in die Hocke und griff nach dem Handgelenk. Die Haut war eiskalt. Ich konnte keinen Puls fühlen.
Ich blieb in der Hocke. Horchte. Hörte nichts. Ich verrenkte mir den Hals und betrachtete den Kopf genauer. Er war von einem schweren, harten Gegenstand getroffen worden. Nur von einem einzigen wuchtigen Schlag. Die Wunde, fast zweieinhalb Zentimeter breit und ungefähr zehn Zentimeter lang, bildete eine lange Furche. Der Schlag war von links oben gekommen. Mrs. Kramer hatte dabei in Richtung Küche geblickt. Ich schaute mich um, ließ ihr Handgelenk los, erhob mich und betrat das Arbeitszimmer. Ein Orientteppich bedeckte den größten Teil des Fußbodens. Ich stellte mir vor, ich hörte nervöse Schritte den Flur entlang auf mich zukommen. Stellte mir vor, ich hielte noch das Brecheisen in der Hand, mit dem ich das Schloss der Küchentür herausgehebelt hatte. Ich stellte mir vor, ich schlüge damit zu, als die Zielperson auf ihrem Weg an der offenen Tür vorbei in Sicht kam.
Ich blickte zu Boden und erkannte auf dem Teppich einen Streifen aus Blut und Haaren. Hier hatte jemand das Brecheisen abgewischt.
Sonst war hier nichts in Unordnung gebracht worden. Dies schien ein seltsam unpersönlicher Raum zu sein, der vielleicht nur deshalb existierte, weil die Kramers gehört hatten, ein stilvolles Heim müsse auch über ein Arbeitszimmer verfügen. Nicht jedoch, weil sie wirklich eines benötigten. Der Schreibtisch war nicht zum Arbeiten geeignet und voller Fotos in Silberrahmen. Trotzdem waren es weniger, als ich nach einer langjährigen Ehe erwartet hätte. Eine Aufnahme zeigte den Toten aus dem Motel und die Tote vom Flur nebeneinander vor den undeutlich im Hintergrund erkennbaren Präsidentenköpfen am Mount Rushmore. Der General samt Gattin im Urlaub. Er war viel größer als sie, sah stark und äußerst vital aus. Im Gegensatz zu ihm wirkte sie mädchenhaft zierlich.
Auf einem weiteren gerahmten, und nur
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