08 - Ehrenschuld
jeweiligen Programme. Moderatoren kündeten an, daß die Ansprache des Präsidenten gleich beginnen werde, und versorgten ihre Zuschauer mit ausreichender Hintergrundinformation, so daß diese in die Küche gehen und sich ein Brot schmieren konnten, ohne wirklich etwas zu verpassen.
Der Saaldiener, der einen der attraktivsten Jobs hatte, den man in diesem Land zugeschanzt bekommen konnte - ein gutes Gehalt und kaum etwas zu tun - stellte sich in die Mitte des Gangs und kam dann mit der üblichen dröhnenden Stimme seiner Pflicht nach:
»Mr. Speaker, der Präsident der Vereinigten Staaten.«
Roger Durling betrat den Plenarsaal und schritt den Gang entlang, wobei er immer wieder kurz stehenblieb, um Hände zu schütteln. Unter den Arm geklemmt trug er seine rote Ledermappe, die ein Manuskript mit seinem Redetext enthielt für den Fall, daß die Teleprompter nicht funktionierten. Der Applaus war ohrenbetäubend und kam von Herzen. Selbst in den Reihen der Opposition erkannte man an, daß Durling sein Versprechen gehalten und die Verfassung der Vereinigten Staaten erfolgreich verteidigt hatte, und sosehr auch sonst politische Machtinteressen im Vordergrund stehen mochten, kannten die Abgeordneten doch auch noch Ehrgefühl und Patriotismus, besonders in einer Zeit wie dieser. Durling war jetzt vorne angelangt und begab sich zu seinem Platz auf dem Podium. Nun war es Zeit für den Speaker, seiner Pflicht nachzukommen:
»Meine Damen und Herren, ich habe die große Ehre, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten das Wort zu erteilen.« Der Applaus begann von neuem, und diesmal gab es den üblichen Wettstreit zwischen den Parteien, wer am lautesten und längsten klatschen konnte.
»Also, noch einmal ...«
»Schon gut, Al! Ich gehe hinein, der Oberste Richter vereidigt mich, und
dann setze ich mich. Ich muß nur alles nachsprechen.«
Ryan trank ein paar Schlucke Cola und wischte sich die feuchten Hände
an der Hose ab. Ein Secret-Service-Agent brachte ihm ein Handtuch.
»Washington Center, hier KLM sechs-fünf-neun. Wir haben einen Notfall, Sir.« Die Stimme sprach in abgehacktem Fliegerjargon, die Art von Sprache, die man benutzte, wenn gerade alles am Zusammenbrechen war.
Der Fluglotse außerhalb von Washington bemerkte, daß sich die Kennung auf seiner Anzeige abhob, und schaltete sein eigenes Mikrofon ein. Das Display verzeichnete den Kurs, die Geschwindigkeit und die Höhe. Sein erster Eindruck war, daß das Flugzeug schnell sank.
»Sechs-fünf-neun, hier Washington Center. Was haben Sie vor, Sir?« »Center, sechs-fünf-neun, Triebwerk Nummer eins ist explodiert, Triebwerke Nummer eins und zwei sind ausgefallen. Struktur wahrscheinlich beschädigt. Steuerbarkeit beeinträchtigt. Erbitte Radarunterstützung direkt nach Baltimore.«
Der Fluglotse winkte den Supervisor zu sich herüber.
»Moment mal. Wer ist das?« Er sah im Computer nach und fand keinen Kontrollstreifen für KLM 659. Der Fluglotse schaltete sein Funkgerät ein. »Sechs-fünf-neun, bitte identifizieren Sie sich, over.«
Diesmal kam die Antwort drängender. »Washington Center, hier sechsfünf-neun, wir sind eine 747, Charterflug nach Orlando, dreihundert Passagiere«, sagte die Stimme. »Wiederhole: Zwei Triebwerke sind ausgefallen, linke Tragfläche und Rumpf sind beschädigt. Erbitte Radarunterstützung direkt nach Baltimore, over.«
»Hier dürfen wir nicht lange fackeln«, sagte der Supervisor. »Nehmen Sie ihn. Bringen Sie ihn herunter.«
»Gut, Sir. Sechs-fünf-neun Heavy. Sie sind radaridentifiziert. Sie passieren vierzehntausend Fuß, Geschwindigkeit dreihundert Knoten. Schlage vor Linkskurve zwo-neun-null, sinken Sie auf zehntausend Fuß.«
»Sechs-fünf-neun, sinke auf zehntausend, Linkskurve zwo-neun-null«, antwortete Sato. Im internationalen Flugverkehr wurde Englisch gesprochen, und seins war hervorragend. So weit, so gut. Er hatte immer noch mehr als die Hälfte seines Treibstoffs und war seinem Satellitennavigationssystem zufolge noch knapp hundert Meilen von seinem Ziel entfernt.
Auf dem Baltimore-Washington International Airport wurde sofort die in der Nähe des Hauptterminals gelegene Feuerwehr alarmiert. Flughafenangestellte, die normalerweise andere Aufgaben hatten, rannten oder fuhren zu dem Gebäude hinüber, während die Fluglotsen schnell entschieden, welche Flugzeuge sie noch landen lassen konnten, bevor die beschädigte 747 zu nahe gekommen war, und welche sie in die Warteschleife einweisen mußten. Es gab ein festes
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