08 - Tod Auf Dem Pilgerschiff
Nia tot ist.«
Cians Reaktion verriet seine unverkennbare Überraschung.
»Tot? Wie ist das möglich?«
»Toca Nia wurde ermordet etwa zur gleichen Zeit, als du vom Schiff geflohen bist.«
Cian trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Sein Erschrecken war echt, das ließ sich nicht spielen.
Pater Pol zuckte hilflos die Achseln.
»Das bringt mich in eine unangenehme Lage, Bruder. Nach unserem Kirchenrecht habe ich dir Asyl in dieser Kirche gewährt, aber nur wegen der gegen dich erhobenen Beschuldigungen. Jetzt jedoch …«
Cian blickte verwirrt von dem Priester zu Fidelma.
»Aber ich weiß nichts von Toca Nias Tod. Was meint er denn?« fragte er sie.
»Leugnest du, daß es deine Hand war, die die tödlichen Streiche gegen Toca Nia führte?«
Cians Augen weiteten sich in noch größerer Verwirrung.
»Meinst du das im Ernst? Soll das heißen … daß ich des Mordes an ihm beschuldigt werde?«
Fidelma blieb ungerührt.
»Du streitest es also ab?«
»Natürlich streite ich das ab. Es stimmt nicht«, rief Cian empört.
Fidelma setzte eine spöttische Miene auf.
»Willst du behaupten, daß der Mord ein Zufall war? Daß du nichts davon weißt?«
»Nenn es, wie du willst. Ich habe ihn nicht getötet.«
Fidelma setzte sich auf die Bank, von der Cian aufgestanden war.
»Du mußt zugeben, wenn das ein Zufall war, dann kommt er dir äußerst gelegen. Vielleicht erklärst du uns, warum du von dem Schiff geflohen bist?«
Cian setzte sich ihr gegenüber und beugte sich vor. Seine Haltung war eindeutig bittend.
»Ich habe das nicht getan, Fidelma«, sagte er mit ruhigem Nachdruck. »Du kennst mich doch. Ich gebe zu, daß ich im Krieg getötet habe, aber ich habe nie kaltblütig gemordet. Niemals! Du mußt doch wissen, daß ich nie …«
»Ich bin dálaigh , Cian«, unterbrach sie ihn scharf. »Berichte mir, was vorgefallen ist, so wie du es weißt. Weiter brauche ich nichts zu hören.«
»Aber ich weiß nichts. Ich kann dir nichts berichten.«
»Warum bist du dann von der ›Ringelgans‹ geflohen und hast hier um Asyl nachgesucht?«
»Das sollte doch klar sein«, antwortete Cian.
»Falls du nicht Toca Nia umgebracht hast, würde ich sagen, daß es überhaupt nicht klar ist.«
Cian errötete vor Zorn.
»Ich habe nicht …« setzte er an und stockte. »Ich bat hier um Asyl, weil ich Zeit zum Nachdenken brauchte. Als du mich nach Toca Nias Beschuldigung verhört hast, habe ich begriffen, daß du es ernst meintest, daß du und Murchad mich festsetzen, nach Laigin zurückschaffen und vor Gericht bringen wolltet. Sicher wäre ich wegen des Massakers in Rath Bíle verurteilt worden.«
»Wie ich mich erinnere, hast du das Massaker zugegeben.«
»Als Tat ja, aber nicht als Verbrechen. Es war Krieg, und ich tat nur, was mir befohlen worden war.«
»Dann solltest du auch bereit sein, dich gegen die Anschuldigung zu verteidigen. Wenn du nicht des Mordes schuldig bist, solltest du auf das Gesetz vertrauen.«
»Ich brauchte Zeit zum Überlegen. Die Beschuldigung kam so plötzlich.«
Murchad unterbrach ihn barsch.
»Viel vordringender ist, daß man dich jetzt des Mordes an Toca Nia beschuldigt und du dich dagegen wehren mußt.«
Fidelma war derselben Meinung.
»Solange kein anderer Zeuge auftritt und dich anklagt, sind Toca Nias Beschuldigungen mit ihm gestorben. Deswegen können wir dich weder festsetzen noch dich zur Rechenschaft ziehen, denn er hat sie nicht gerichtlich zu Protokoll gegeben.«
Cian war total verblüfft.
»Heißt das, die Beschuldigung wegen Rath Bíle fällt weg?«
»Toca Nia hat nicht offiziell Anklage erhoben, sie wurde weder niedergeschrieben noch durch Zeugen bestätigt. Die mündliche Beschuldigung eines Toten, falls sie nicht als sein letztes Wort zu verstehen und als solches von Zeugen beglaubigt ist, kann nicht als Beweismittel gegen dich verwendet werden.«
»Dann bin ich also von dieser Beschuldigung frei?«
»Es sei denn, es gibt andere Zeugen aus Rath Bíle, die auftreten und gegen dich aussagen. Da keine hier sind, bist du davon frei.«
Auf Bruder Cians Gesicht trat ein breites Lächeln, doch dann besann er sich und wurde wieder ernst.
»Ich schwöre bei der Heiligen Dreifaltigkeit, daß ich Toca Nia nicht getötet habe.«
Fidelma hörte die Wahrheit aus seiner Stimme heraus, doch ihr persönliches Mißtrauen ließ sie an seinen Unschuldsbeteuerungen zweifeln. Was hatte Horaz einst gesagt? Naturam expellas furca, tamen usque recurret – Treib die Natur mit der Forke
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