08 - Tod Auf Dem Pilgerschiff
der einzige Luxus in der Kleidung, den sich Fidelma leistete, denn nichts war so angenehm, als dieses fremde Material auf der Haut zu spüren. Natürlich konnten sich nur Leute von Rang und Reichtum solche feinen Stoffe kaufen. Andere, das wußte sie, trugen Unterkleidung aus Wolle oder Leinen.
Als junge Studentin bei ihrem Mentor, dem Brehon Morann von Tara, hatte Fidelma zu ihrer Überraschung erfahren, daß es sogar Gesetze gab, die die Kleidung regelten. Das Senchus Mór legte fest, welche Kleidung Pflegekinder zu tragen hatten. Jedes Kind mußte zwei vollständige Garnituren besitzen, damit es eine tragen konnte, während die andere gewaschen wurde. Die Kleidung der Söhne und Töchter von Königen, dann von Fürsten … und so weiter bis zu den niederen Rängen der Gesellschaft, alle wurden entsprechend ihrer Stellung aufgezählt, und waren die Kinder in Pflege gegeben – eine Form der Erziehung –, dann hatten sie an Feiertagen immer die beste Kleidung zu tragen.
Fidelma verlor sich ins Nachdenken darüber und kam sich plötzlich sehr einsam vor. Wie sehr wünschte sie sich, Eadulf wäre da! Dann könnte sie mit ihm darüber reden. Auch für die Klärung der Mordfälle benötigte sie dringend seine Hilfe. Vielleicht würde ihm etwas auffallen, was sie übersehen hatte.
Sie merkte, daß Gurvan mit abgewendetem Blick neben ihr stand, ein langes Stück Tau in der Hand.
»Ich bin fertig, Gurvan. Ich schwöre dir, ich bin anständig angezogen.«
Zögernd hob Gurvan den Blick.
Es stimmte, daß Fidelmas Unterkleidung nicht unzüchtig war, aber sie verbarg auch nicht ganz ihre gute Figur und ihre jugendliche Gestalt, die eine Lebensfreude ausstrahlte, die schlecht zu ihrem religiösen Beruf paßte.
Er schluckte nervös.
»Zeig mir, wie ich mich damit festbinde«, bat sie ihn.
Er trat näher, das Tauende in der Hand.
»Am besten bindest du es dir um die Taille, Lady. Ich mache einen sicheren Knoten, der aber auch leicht zu lösen ist – einen Kreuzknoten.«
»Ich weiß, wie man den macht. Ich versuch’s, und du kontrollierst, ob ich es richtig gemacht habe.«
Sie nahm ihm das Tau aus der Hand, zog es sich um die Taille und konzentrierte sich auf den Knoten.
»Rechts über links und links über rechts … ist es nicht so?«
Gurvan prüfte den Knoten und war zufrieden.
»Genau richtig. Ich binde das andere Ende mit dem gleichen Knoten an der Reling fest.«
Das tat er dann. Das Tau reichte aus, daß sie die ganze Länge des Schiffes hin und her schwimmen konnte.
Fidelma dankte mit einem Winken, ging zur Reling und sprang elegant über Bord.
Das Wasser war kälter als erwartet, und sie tauchte keuchend und fast atemlos wieder auf. Sie brauchte einige Augenblicke, um sich zu erholen und an die Wassertemperatur zu gewöhnen. Sie machte ein paar langsame Schwimmstöße. Fidelma hatte schwimmen beinahe eher gelernt als laufen, im Fluß Suir, dem »Schwesterfluß«, der dicht an Cashel vorbeifloß. Sie hatte keine Angst vor dem Wasser, aber einen gesunden Respekt, denn sie wußte, wozu es fähig war.
Es war merkwürdig, daß vom Volk von Éireann viele Menschen, die im Binnenland lebten, in den Flüssen schwimmen lernten, während die meisten Einwohner der Fischersiedlungen an der Küste, besonders an der Westküste, sich weigerten, es zu lernen. Fidelma erinnerte sich, daß sie einmal einen alten Fischer nach dem Grund dafür gefragt hatte, denn sie meinte, wenn ein Boot sank, mußte man doch schwimmen können? Er hatte den Kopf geschüttelt.
»Wenn unsere Boote untergehen, ist es besser, gleich ins Meeresgrab zu sinken, als einen längeren und qualvollen Tod zu sterben, indem man versucht, in der See zu überleben.«
Es stimmte, daß die düstere, felsige Küste mit ihrer schäumenden Brandung nicht gut zum Schwimmen war. Vielleicht hatte der alte Fischer recht.
»Wenn Gott will, daß wir leben, dann rettet Er uns. Es hat keinen Zweck, gegen das Schicksal anzukämpfen.«
Fidelma hatte das Gespräch nicht weitergeführt, denn es war ein Thema, über das die Fischer nicht gern redeten. Der schwerste Fluch, den man unter Küstenbewohnern kannte, lautete: »Mögest du ertrinken!«
Fidelma lag auf dem Rücken und ließ sich von den leichten Wellen tragen. Die »Ringelgans« ragte gewaltig und dunkel neben ihr auf, das große Segel hing immer noch schlaff von der Rahe. Sie sah, wie Gurvan über die Reling gebeugt nach ihr schaute, hob lässig den Arm und winkte ihm zu, es sei alles in Ordnung. Er nickte
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