08 - Tod Auf Dem Pilgerschiff
umgab. Sie beschloß, bei der Schwester mit dem scharf geschnittenen Gesicht zu beginnen.
Schwester Ainder richtete sich auf, als Fidelma sie grüßte. Fidelma war keineswegs klein, doch zu der hochgewachsenen Frau mußte sie aufschauen. Schwester Ainder stand in den reiferen Jahren und war noch beeindruckend hübsch, obgleich ein Lächeln nur selten auf ihrem unbewegten, maskenartigen Gesicht erschien. Ihre tiefliegenden dunklen Augen blinzelten kaum und bohrten sich mit einem forschenden Blick in Fidelmas Augen, so daß die Jüngere von dem unbehaglichen Gefühl erfaßt wurde, dieser Blick dringe bis in die Tiefen ihrer Seele vor. Schwester Ainders ruhige, erhabene Haltung schien nicht von dieser Welt. Ihre Stimme war kräftig, wohlklingend und beherrscht.
»Ich muß mich für den peinlichen Abschluß unseres Gottesdienstes entschuldigen, Schwester Fidelma«, intonierte sie eher als sie sprach, wie eine Vorleserin beim Mahl ihrer Glaubensgenossen. Diese eigenartige Sprechweise war Fidelma bis dahin noch nicht aufgefallen. Vielleicht lag es daran, daß sie von den anderen abgelenkt worden war. »Ich verstehe die Leidenschaftlichkeit der Jüngeren nicht.«
»Du meinst die Auseinandersetzung zwischen Schwester Crella und Bruder Bairne? Ich fand Bairnes Wahl der Texte aus der Heiligen Schrift auch etwas sonderbar!«
»Es gibt Dinge, die besser ungesagt bleiben sollten«, bemerkte Schwester Ainder, als stimme sie ihr zu.
Fidelma fragte: »Weißt du, was Bairne Crella vorwirft oder was Crella Bairne vorwirft? Mir schien, da spielte sich etwas zwischen ihnen ab.«
»Was es auch war, uns geht es jedenfalls nichts an.«
»Ich würde gern deine Meinung hören, Schwester, und ich möchte vor allem mehr über Schwester Muirgel erfahren.«
»Sagt nicht ein altes Sprichwort, man solle seinen Nachbarn nicht in den Kochtopf gucken? Ich sehe keinen Anlaß für solche Fragen.« Schwester Ainder strömte Mißfallen aus.
Als ihr Fidelma ihre Absichten ausführlicher erläuterte unter dem Vorwand, den sie mit Murchad abgesprochen hatte, änderte das für Schwester Ainder sehr wenig.
»Die Sache ist völlig klar und schnell zu vergessen. Schwester Muirgel war so dumm, während des Sturms an Deck zu gehen. Sie bezahlte ihren Fehler mit tragischen Folgen.«
Fidelma gab vor, dem zuzustimmen, und schloß: »Aber es war klug von Murchad, mich um einen offiziellen Bericht zu ersuchen, damit er nicht zur Verantwortung gezogen wird für den Unfall, falls die Familie der Verstorbenen Schadenersatz verlangt.«
Schwester Ainder schob die Erwägung mit einem leichten Schulterzucken beiseite.
»Ich kenne ihre Familie nicht, aber man kann doch dem Kapitän nicht die Schuld geben, wenn einer seiner Passagiere so dumm ist, sein Leben aufs Spiel zu setzen?«
»Das stimmt«, meinte Fidelma, »doch ich muß sicher sein, daß es sich wirklich so abgespielt hat. Die Aussage von Zeugen ist wesentlich.«
Die Stimme der großen Nonne wurde kühl. »Ich bin bestimmt keine Zeugin.«
»Ich meinte nicht, daß du die Tragödie mitangesehen hättest. Aber du könntest mir Hintergrundinformationen geben. Ich nehme an, du kanntest Schwester Muirgel?«
»Natürlich.«
Fidelma unterdrückte aufsteigenden Ärger. Aus Ainder etwas herauszuholen war wie Zahnziehen.
»Wo hast du sie kennengelernt?«
»In der Abtei Moville.«
»Du kanntest sie also gut?«
»Nein.«
Fidelma beschloß, es anders zu versuchen.
»Wann hast du dich entschieden, auf diese Pilgerfahrt zu gehen?«
»Vor ein paar Wochen.«
»Bist du mit Schwester Muirgel zusammen von Moville nach Ardmore gereist?«
»Ja.«
»Kannst du mir einen Eindruck vermitteln, was für ein Mensch sie war?«
»Das könnte ich wirklich nicht sagen.«
»Aber du mußt doch unterwegs einige Zeit zusammen mit ihr verbracht haben?«
»Nein.«
»Nein?« wiederholte Fidelma gereizt.
»Nein.« Plötzlich gab Schwester Ainder nach. »Wir sind zu zwölft von Moville aufgebrochen. Eine von uns starb schon nach zwanzig Meilen. Sie war eine ältere Schwester, die eine solche Reise gar nicht erst hätte antreten dürfen. Unsere Gesellschaft war so groß, daß ich kein besonderes Interesse an Schwester Muirgel zu nehmen brauchte.«
»Ist das nicht seltsam bei einer Gruppe von Pilgern aus derselben Abtei, die zu einer Fahrt in ein fernes Land aufbricht? Ist es nicht seltsam, daß sie nicht untereinander befreundet sind oder sich wenigstens gut kennen?«
Schwester Ainder schnaufte abweisend.
»Wieso? Eine
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