0800 - Das Orakel
das Gesicht. »Sie macht mir Sorgen. Zwar bin ich leicht behindert, die Gelenke wollen nicht mehr so, wie ich es gern hätte, aber wenn ich so an meine Mitbewohner denke, habe ich mir das doch etwas anders vorgestellt.«
»Wie meinen Sie das?«
Robert Morse schaute sich um. Es war jedoch niemand da, der ihnen hätte zuhören können. Er zeigte auf seinen Kopf. »Es geht hier um diesen Schädel, wenn Sie verstehen. Ich bin geistig noch fit, ich bin verdammt rege, ich kann mich gedanklich bewegen. Das ist alles wunderbar, aber die anderen können das nicht. Mir fehlt die Kommunikation. Leider ist mein Freund und Partner Ben Hubert gestorben. Wir beide waren ein gutes Team, wir haben uns prima ergänzt.«
»Das glaube ich Ihnen unbesehen. Sie haben Bücher geschrieben.«
»Stimmt.«
»Nur geschichtliche?«
Morse wiegte den Kopf. »Ach was, Inspektor. Nicht rein wissenschaftliche, auch etwas spekulativ. Wissen Sie, wir wollten die Leser zum Denken anregen. Es liegt alles lange zurück, und wir hatten das Gefühl, dass sich die Historiker, die Völkerkundler und die Archäologen auf ihren Lorbeeren ausruhten. Wir wollten ihnen Feuer unter den Ärschen machen, damit sie aufwachen, denn vor vierzig Jahren haben sie nicht mehr an die spekulative Forschung gedacht.«
»Haben sie das denn geschafft?«
Morse senkte den Kopf und kratzte mit dem Daumennagel über die faltige Haut am Hals. »Komisch, Inspektor, aber diese Frage kann ich Ihnen leider nicht beantworten. Zumindest nicht genau.«
»Warum nicht?«
»Weil es nicht viel Resonanz gegeben hat. Die Bücher erschienen, man nahm sie zur Kenntnis, rezensierte sie auch hin und wieder, doch mehr war nicht drin. Sie fanden leider kein breites Echo in der Presse und auch nicht bei den Lesern. Die Zeit war wohl noch nicht reif für ein gewisses Erwachen, denke ich.«
»Das kann ich mir vorstellen.«
Morse lächelte versonnen. »Heute ist es anders, Inspektor, aber heute bin ich zu alt, und mein Freund ist leider verstorben. Der verfluchte Krebs, wissen Sie, der lässt sich einfach nicht besiegen.«
»Sie sollten nicht so verbittert sein, Mr. Morse.«
Der alte Mann lachte. »Ich soll nicht verbittert sein? Was wären Sie denn, wenn man Sie ausgelacht oder so gut wie nicht zur Kenntnis genommen hätte, Inspektor?«
»Das weiß ich leider nicht.«
»Eben.«
»Auf der Suche bin ich ja zu Ihnen gekommen, um mit Ihnen über ein bestimmtes Buch zu reden. Sie sind wieder ›in‹, wenn ich das mal so ausdrücken darf.«
»Zu spät, Inspektor.«
»Das glaube ich nicht.«
Morse überlegte. Nach einer Weile sagte er: »Jetzt haben Sie mich doch tatsächlich neugierig gemacht.« Die kleinen Augen funkelten.
»Auf was wollen Sie eigentlich hinaus?«
Suko winkte ab. »Eins nach dem anderen. Wir haben ja Zeit.«
»Meine Uhr ist fast abgelaufen.«
»Aber sie wird nicht gerade heute stoppen.«
»Wer kann es wissen?«
»Spielt auch im Prinzip keine Rolle«, sagte Suko. »Uns geht es um andere Dinge.«
»Uns?«
»Ja, meinem Kollegen und Freund John Sinclair auch.«
Robert Morse lächelte plötzlich. Seine Augen schimmerten noch heller. »Wie sagten Sie? John Sinclair?«
»Ja.«
»Dieser Name ist mir bekannt.«
»Das freut mich.«
Der alte Mann lachte und klatschte in die Hände. »Irgendwo ist er doch ein Leidensgenosse von mir. Hat er nicht mit den gleichen Anerkennungsproblemen zu kämpfen wie ich?«
»Das hatte er mal. Doch wir hatten das Glück, in einer anderen Zeit aufgewachsen zu sein. Die Menschen sind gewissen Problemen gegenüber offener geworden.«
»Ja, ich verfolge noch die Berichte in den einschlägigen Magazinen. Und ich weiß auch, dass Sie zu mir gekommen sind, weil Sie sich von mir Hilfe versprechen.«
»Stimmt.«
Morse setzte sich aufrecht hin, ohne die Schaukelei zu unterbrechen. Ein Energiestoß schien ihn aufgepäppelt zu haben. »So, dann sollten Sie mal zur Sache kommen, Inspektor.«
»Gern. Sie haben unter anderem ein Buch geschrieben, das ich als sehr wichtig ansehe. Ich weiß nicht, wie hoch die Auflage damals war und wie viele Exemplare noch davon existieren, aber es geht mir eben um diesen einen Titel.«
»Soll ich raten?«
»Ja.«
Morse beugte sich vor, als er den Titel nannte und die Worte dabei flüsterte. »Spuren der Frühzeit im Alten und Gelobten Land.«
»Genau.«
Der Autor lehnte sich wieder zurück. Er ließ den Kopf nach hinten sinken, schloss die Augen, schaute gegen die Decke und sagte mit leiser Stimme: »Das Orakel
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