0802 - Der Wächter
bestimmt keiner auf.
Der Laut musste eine andere Ursache gehabt haben.
Ich dachte natürlich an den Killer und zog mit einer glatten Bewegung meine Beretta.
Das Metall war kalt, es hatte sich der Witterung angepasst, und die Kälte übertrug sich auch auf meine Hand. Wo der Laut genau entstanden war, wusste ich nicht. Ich konnte die Stelle auch nicht sehen, vielleicht lag sie hinter der Mauer, obwohl mich das Echo dann nicht so erwischt hätte. Deshalb wurde ich noch vorsichtiger, und ein Schrei ließ mich zusammenzucken.
Schrill und kurz, irgendwo in der Ferne war er erklungen. Ein Schrei in der Wüste, abgegeben von irgendeinem Tier, aber kein menschliches Organ. Danach war es wieder still.
Auch von meinen Freunden vernahm ich nichts. Sollte es mich beunruhigen? Erste aufkeimende Gedanken, die in diese Richtung führten, wischte ich vom Tisch. Nein, die beiden hatten genug damit zu tun, die Leiche aus dem voll gestopften Brunnen zu ziehen.
Schräg über mir hing der Mond wie ein helles Stück Pudding. Er wirkte verquetscht, eingedrückt. Sein Licht war silbrig und fahl. Es gab manchen Steinen einen beinahe schon wertvollen Glanz.
Mensch oder Tier?
Ich geriet allmählich in Zweifel darüber, wer wohl dieses Geräusch verursacht hatte. Oder hatte ich es mir auch nur eingebildet?
Hatten mir die überreizten Nerven einen Streich gespielt?
Ich beschloss, bis zum Ende des Klosters durchzugehen, wo die Ruinen nicht mehr so hoch standen. Die meisten Stücke waren zusammengebrochen, lagen übereinander und bildeten Trümmerhügel.
Und da stand der Mann.
Er war plötzlich da, ich hätte ihn eigentlich zuvor sehen müssen, was nicht der Fall gewesen war. Sein plötzliches Erscheinen hatte mich misstrauisch gemacht. Dieser Mensch musste hinter dem Trümmerhügel gelauert haben, um überraschend vorzutreten.
Der Killer?
Ich hielt die Beretta zwar fest, doch der Arm hing an meiner rechten Körperseite nach unten, die Pistole konnte von dem Fremden kaum gesehen werden.
Er wusste, dass ich ihn gesehen hatte. Schon allein deshalb, weil ich nicht weiterging. Ich hörte ein leises Lachen, dann seine fremde Stimme, die mich in meiner Sprache anredete. »Willkommen in der Wüste, Mister…«
***
Er hatte etwas gesagt und mich deshalb in Zugzwang gebracht. Der Mann wartete auf eine Antwort, nur blieb er nicht mehr stehen, sondern ging auf mich zu. Er gab sich locker, keine steifen, abwartenden oder lauernden Bewegungen, und ich hatte an ihm auch keine Waffe entdecken können. Trotzdem traute ich ihm nicht über den Weg. Noch immer war ich davon überzeugt, den Killer vor mir zu haben.
Er trug dunkle Kleidung, hatte blondes Haar, war mittelgroß, und der Körper warf einen Schatten, der sich flach auf dem Boden und in einer schrägen Linie ausbreitete. Das Mondlicht hatte ihn erwischt und diesen Schatten produziert, während sein Gesicht hell schimmerte, noch heller als die Haare.
Wo kam er her? Was wollte er hier? Das waren natürlich Fragen, die mir auf der Zunge brannten, und ich war auch sicher, dass ich sie ihm stellen würde.
»Was tun Sie hier?«, fragte ich ihn.
Damit provozierte ich nur ein Lachen. Es war abrupt aufgeklungen, klang sehr hart und stoppte ebenso abrupt. »Das Gleiche könnte ich Sie fragen, Mister?«
»Klar. Nur habe ich die Frage zuerst gestellt.«
»Das ist richtig. Wiederum sind Sie fremd.«
»Sie nicht?«
»Nein, denn dieses Israel ist meine Heimat. Ich gehöre zu diesem Volk, Mister.«
»Gut, das muss ich akzeptieren. Nur haben Sie damit meine Frage nicht beantwortet. Lieben Sie alte Ruinen? Mögen Sie es, des Nachts in Klöstern umherzustreifen?«
»Sie nicht?«
»Wir haben hier zu tun gehabt.«
»Ach – Sie sind zu mehreren.«
»Tun Sie nicht so, als ob Sie es nicht wüssten.«
Er lachte leise und sagte dann: »Mein Name ist übrigens Smith. Sehr leicht zu merken, finde ich.«
»Danke für die Aufklärung.«
»Nichts für ungut. Wie heißen Sie denn?«
»Ich könnte mir vorstellen, dass Sie es bereits wissen, Mr. Smith. Sie scheinen mir gut informiert zu sein, haben hier Ihren Auftritt gehabt und kamen mir nicht einmal fremd vor. Das ist schon beeindruckend.« Meine Stimme troff vor Hohn.
Er breitete die Arme aus. Vielleicht tat er das auch, um mir zu zeigen, dass er waffenlos war. »Wie sollte ich?«, fragte er. »Was werfen Sie mir denn vor?«
»Wie sind Sie hergekommen?«
»Nicht geflogen.«
»Kann ich mir denken. Es gäbe hier auch kaum einen Platz, um zu
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