0803 - Meleniks Mordnacht
nackte Mauerwerk…
***
Der Küster wusste nicht, was er denken oder fühlen sollte. Innerhalb eines kurzen Augenblicks war ein Teil des Himmels auf ihn herabgestürzt, er fühlte sich wie begraben, und als er Luft holte, da glaubte er, Schmerzen in seinem Hals zu spüren.
Wo war die Figur?
Sie musste noch auf dem Sockel stehen Er hatte sich geirrt, er war zu schnell gewesen, er hatte einfach in seiner Hektik an ihr vorbeigeleuchtet.
Also wieder zurück.
Der Kegel erwischte das neue alte Ziel. Das Gesicht der Königin von Saba.
Und jetzt, erst in diesem langen, nicht enden wollenden Augenblick kriegte es der Mann mit der Angst zu tun. Zwar hatte er keine glühenden Augen gesehen wie Marie Avide, diese Entdeckung jedoch kam ihm weitaus schlimmer vor.
Die Figur war weg! Weg… weg … weg!, hämmerte es durch seinen Kopf. Es gab sie nicht mehr. Sie war verschwunden. An ihrer Stelle stand stattdessen nichts, nur Mauerwerk, leer und …
Der Küster fing an zu zittern. So stark, dass seine Zähne schon aufeinander schlugen. Die Schauer erwischten ihn wie Peitschenschläge, und er wusste nicht mehr, was er tun sollte. Der Arm sank nach unten. Auf den Boden malte das Ende des Lichtstrahls einen Kreis, der sich ebenfalls zitternd bewegte und sehr unregelmäßig aussah und vergleichbar mit dem Herzschlag des Mannes war.
Die kalte Angst grub eine tiefe Furche in sein Herz. Hinter den Augen spürte er einen irren Druck, als sollten ihm die Augäpfel aus den Höhlen gesprengt werden, und es brauchte seine Zeit, bis der Küster es geschafft hatte, sich wieder einigermaßen zu fangen.
Die Angst aber war geblieben.
Sie bestand aus Hunderten von Bändern, die von unten nach oben seinen Körper umspannten und auch das Herz wie eine Klammer hielten. Die Angst ließ ihn zittern, sie kam in einer neuen Welle, aber sie flachte diesmal schneller ab.
Wo befand sich die dritte Figur?
Sie war schwer, sie wog zu viel, als dass sie von Menschenhand hätte getragen werden können. Man brauchte schon einen Kran, um sie abzunehmen, das aber wäre aufgefallen und hätte sich sicherlich sehr schnell herumgesprochen.
Wie also war sie verschwunden?
Er leuchtete noch einmal hin, um sich davon zu überzeugen, dass er sich nicht alles eingebildet hatte.
Die Stelle war leer.
Wieder sank die Hand mit der Lampe nach unten. Der Schein zeichnete sich wie ein dünner Knochenarm auf dem Boden ab, als hätte ein Skelett ihn verloren.
Der Küster wusste nicht, was er tun sollte. Er selbst fühlte sich einfach zu schwach, um nach einer Erklärung zu suchen. Er brauchte jetzt einen Menschen, mit dem er über dieses Phänomen sprechen konnte, doch wer hätte ihm schon geglaubt?
Es gab jemand.
Marie Avide, doch um diese Zeit wollte er sie nicht stören und ihr keine weitere schlaflose Nacht bereiten. Nein, so rücksichtslos wollte er nicht sein.
Und seine Vorgesetzten informieren? Die würden ihn auslachen, bestimmt auch der Vertreter des Bischofs, den er ziemlich gut kannte. Sie würden ihn für einen Spinner halten und sich möglicherweise erst gar nicht den Beweis zeigen lassen.
Nein, das war keine Lösung. Es musste aber einen Weg geben, und den gab es auch.
Für ihn allein. Das hieß im Klartext, dass er ihn ohne Begleitung und Hilfe gehen würde. Er hatte das Fehlen der Figur entdeckt, und er würde auch nach einer weiteren Erklärung suchen und sie finden. Davon ging er aus.
Das Portal war nicht weit entfernt. Wie ein Betrunkener taumelte er darauf zu, die Lampe in der rechten Hand haltend und nicht darauf achtend, dass sich der Lichtkegel in seinem Gehrhythmus bewegte. Er zuckte einige Male über den Boden, als wollte er in die Erde eintauchen und auch den Mann mit hineinziehen.
Gegen die schwere Tür lehnte er sich mit der linken Schulter und holte zunächst einmal Luft.
Er hatte den Eindruck, als wäre die ganze Welt über ihm zusammengebrochen. Der Himmel stürzte ein, und gleichzeitig war der Boden, auf dem die Kathedrale stand, bis in die Grundfesten erschüttert worden. In seinen Knien vibrierte es, im Kopf bekam er die dumpfen Schläge mit, und er beugte sich nach vorn, um sich gegen die schwere Klinke zu stemmen, damit er sie nach unten drücken konnte.
Es gab um diese Zeit keinen Grund, die Kathedrale abzuschließen. Erst in der Hochsaison war sie während der Nachtstunden geschlossen, um allzu Neugierigen vorzubeugen.
Der Küster musste sich anstrengen, um die Tür aufzuschieben.
Sie bewegte sich nur sehr
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