0808 - Anruf aus dem Jenseits
Augenbraue hoch. »Na, nun werden Sie nicht gleich unhöflich, Henri!«
Renoir blickte auf. »Sie verstehen mich falsch«, sagte er. Abrupt enthüllte er den Leichnam. »Ich meinte, der Tote hat kein Gehirn mehr!«
Unwillkürlich trat Robin einen Schritt zurück. Aus geweiteten Augen blickte er auf den Toten, dessen Körper bereits deutliche Spuren von Renoirs professioneller Arbeit zeigte.
»Verstehe ich das richtig? Das Gehirn fehlte bereits, als Sie die Schädeldecke öffneten?«, versicherte sich der Chefinspektor mit gepresster Stimme.
Dr. Renoir nickte. »Es ist, als sei ihm das Hirn förmlich aus dem Schädel gebrannt worden. Sehen Sie?«
Er bedeutete Robin, näher zu kommen. Widerwillig folgte dieser der Aufforderung. Renoir hatte völlig recht. Das Innere des Schädels wies eindeutige Brandspuren auf.
»Das war natürlich auch die Todesursache«, fuhr der Arzt fort.
Robin schwieg einen Moment. Als seine Freundin ihn fand, hatte Gougeon leblos auf der Couch gelegen, die Hand um den Telefonhörer gekrampft, als habe ihn der Tod mitten im Gespräch ereilt. Ein dünner Blutfaden, der aus seinem Ohr sickerte, war das einzige Anzeichen für eine unnatürliche Todesursache gewesen.
»Wie ist das möglich?«, murmelte der Chefinspektor leise.
Dr. Renoir zuckte mit den Achseln. »Ich kann Ihnen keine logische Erklärung anbieten. Mir ist die Sache ein völliges Rätsel. Ich denke…«
Der Polizeiarzt brach ab. Die beiden unterschiedlichen Männer blickten sich über den Seziertisch hinweg in die Augen. Schließlich seufzte Robin vernehmlich.
»Ich weiß, was Sie denken, Henri«, winkte er ab. »Das entwickelt sich wieder zu einem von diesen Fällen…«
***
Château Montagne, südliches Loiretal, Abend.
Professor Zamorra, Parapsychologe von Beruf und Dämonenjäger aus Berufung, musterte das vor ihm auf dem Tisch liegende silberne Amulett. Er hatte sich in die Abgeschiedenheit seines im Haupttrakt des Schlosses liegenden »Zauberzimmers« zurückgezogen. Hier pflegte er normalerweise seinen magischen Experimenten nachzugehen. Heute jedoch hatte Zamorra den besonders geschützten Raum aufgesucht, um sich näher mit Merlins Stern zu befassen.
Der Parapsychologe war sich schmerzlich darüber im Klaren, dass er im Grunde genommen kaum über die vielfältigen Möglichkeiten des einst von dem weisen Zauberer Merlin aus der Kraft einer entarteten Sonne erschaffenen Amuletts Bescheid wusste. Eigentlich war ihm die magische Silberscheibe heute noch fast ein genau so großes Rätsel wie an jenem lange zurückliegenden Tag, da er Merlins Stern in einem Geheimversteck in den Mauern des Châteaus gefunden hatte. Lange zuvor war das Amulett im Besitz von Zamorras Vorfahr Leonardo deMontagne gewesen, der es sich während des 1. Kreuzzugs angeeignet hatte. Irgendwie war es dann in die Hände von Zamorras verstorbenem Onkel Louis geraten, der es samt dem Château Montagne an den Parapsychologen vererbt hatte. Damals tobten Feuerdämonen im Château, und nur mittels des Amuletts war Zamorra ihrer Herr geworden. [1]
Zamorras Züge verfinsterten sich, als er an Leonardo dachte. Nach seinem Tod war der Schwarzmagier Leonardo zur Hölle gefahren, aus der man ihn jedoch schließlich Jahrhunderte später wieder entließ, weil er selbst für diese zu bösartig war. Ausgestattet mit einem neuen Körper hatte er sich zu einem harten Gegner für Zamorra und seine Freunde entwickelt und ihnen lange Zeit das Leben schwer gemacht. All das lag jedoch Jahrzehnte zurück und mittlerweile war Leonardo deMontagne endgültig tot.
Der Dämonenjäger schüttelte die unangenehmen Erinnerungen ab, um sich wieder auf das Amulett zu konzentrieren. Seit vielen Jahren befand er sich jetzt im Besitz von Merlins Stern, doch immer noch hatte er nur einen Bruchteil seiner Möglichkeiten erforscht.
Natürlich hatte Zamorra im Grunde mehr Zeit als seine Mitmenschen. Immerhin hatten sowohl er als auch Nicole Duval, seine Geliebte und Mitstreiterin im Kampf gegen die Mächte der Finsternis, von der Quelle des Lebens gekostet. Infolge dessen war ihr biologischer Alterungsprozess ein für alle Mal gestoppt worden. Vor Verletzungen und Mordanschlägen schützte diese besondere Art der Unsterblichkeit freilich nicht.
Anschläge dieser Art gab es durchaus genug. Die Mächte der Hölle ließen Zamorra und seine Freunde kaum zur Ruhe kommen. Eben darum war es so wichtig, dass er diesen seltenen Moment des Friedens nutzte.
Der Parapsychologe atmete durch
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