0809 - Das Schlangenkreuz
Vielleicht hatte er ebenfalls Fehler gemacht und die Gefahr unterschätzt. Jedenfalls hatte er nicht kapituliert, und diese Tatsache sorgte dafür, dass er einen Teil des Vertrauens zurückgewann.
»Ich warte noch auf eine Antwort, Pater.«
»Ja, ich weiß. Vielleicht hätte ich stärker sein sollen, aber ich stand allein. Das wird sich ändern. Wenn wir morgen Früh wieder miteinander sprechen, kann alles ganz anders aussehen.«
»Meinen Sie?«
»Davon bin ich überzeugt.«
Marsha schaute den Mann an. Sie sah in sein Gesicht mit dem etwas düsteren Ausdruck darin. Plötzlich konnte sie nicht anders. Sie musste ihn einfach umarmen, schlang beide Hände um seinen Nacken und drückte den Mann fest an sich. »Ich glaube Ihnen, Pater. Ich bin davon überzeugt, dass wir es schaffen werden. Nichts kann uns erschüttern. Ich bin… ich werde Sie …«
Er strich über ihre Wangen, die plötzlich feucht geworden waren.
»Bitte nicht weinen«, sagte er leise. »Tränen machen so deprimiert.«
»Ja, ja.« Marsha wandte sich hastig ab. »Ich wollte auch nicht weinen!« Sie holte ein Tuch aus der Tasche und schnäuzte hinein. Dann drehte sie sich um.
Domingo stand bereits an der Tür. »Ich werde jetzt gehen, Marsha. Sie hören wieder von mir…«
Ihr Nicken sah aus, als wäre es nicht echt. Sie hob noch die Hand zum Gruß. Dann fiel die Tür zu. Als sie zum Fenster ging, schaute sie auf den Rücken des Paters, der das Haus verlassen hatte. Marsha Blanc faltete die Hände zum Gebet…
***
Die Frau wohnte am Rand einer kleinen Siedlung am Stadtrand von Baton Rouge. Hier war das Leben nicht eben angenehm, denn die Sümpfe waren einfach zu nah. Und damit auch die Mücken und anderen Insekten, die sich oft wie Raubtiere auf die Menschen stürzten, um sie zu stechen.
Aus Sicherheitsgründen waren einige Häuser auf Pfählen errichtet worden, aber Marsha Blancs Haus gehörte nicht dazu, denn wo sie lebte, war der Boden weniger feucht.
Der Pater drehte sich nicht um. Er wusste, dass Marsha am Fenster stand und ihm nachschaute. Er konnte sich auch ihre innere Zerrissenheit vorstellen, doch darüber wollte er nicht länger nachdenken.
Es reichte, wenn er in den Strudel hineingerissen wurde. Marsha war unschuldig, sie hatte damit nichts zu tun.
Noch stand er unter den Bäumen, deren fettig wirkende Blätter einen Teil des Sonnenlichts filterten. Es erreichte zwar den Boden, schwamm aber dort weg, denn die Strahlen fielen in einem spitzen Winkel über das Land, zudem hatte sich der Ball der Sonne bereits im Westen verfärbt. Er war dunkler geworden und glotzte wie ein sattes gelbes Auge auf Mutter Erde.
Pater Domingo war mit seinem blau angestrichenen Jeep gekommen. Man kannte diesen Wagen hier, er war so etwas wie sein Markenzeichen. Wenn er sein Ziel erreichen wollte, musste er in Richtung Norden fahren, wo ein Gelände brach lag. Vor zwanzig Jahren hatte es dort noch Leben gegeben, da war ein großer Rummelplatz aufgebaut worden, ein gewaltiges Objekt, an dem sich zahlreiche Geldgeber beteiligt hatten, besonders Steuerhinterzieher aus Europa, die auf die Sprüche der Anlegeberater hereingefallen waren.
Okay, dieser Rummelplatz war gebaut worden, aber er warf keinen Gewinn ab. Das hing erstens mit seiner Lage zusammen, zweitens mit den Bodenverhältnissen, man hätte viel mehr tun müssen, trockenlegen und betonieren, aber das hatten die Erbauer nicht getan.
Ihnen war es nur um den Profit gegangen, sie hatten kassiert und waren letztendlich mit gewaltigen Summen verschwunden.
Der Betrieb auf dem Platz war längst eingestellt worden. Man hatte ihn auch nicht abgebaut. Noch immer standen die verrotteten und verrosteten Gerüste der Karussells und Buden wie Schandflecke herum, um die sich keiner kümmerte.
Bis auf die Natur.
Sie war weiter gewuchert. Sie hatte sich ausbreiten können, denn für sie war dieser Fleck ideal gewesen, um sich das zurückzuholen, was man ihr genommen hatte.
Praktisch vor dem Rummelplatz lag die Kapelle oder die kleine Kirche des Paters. Sie stand an exponierter Stelle, als wollte sie die Besucher damals daran erinnern, dass es außer dem Vergnügen auch noch andere Werte im Leben gab.
Domingo selbst hatte sein Haus direkt neben die Kapelle gebaut.
Es war kein Prunkstück, eher eine schlichte Hütte, aber er hatte sich damit zufrieden gegeben und ging gleichzeitig mit gutem Beispiel voran.
Man hatte damals auch eine Straße angelegt, die Besucher auf einem bequemen Weg an den Rummelplatz
Weitere Kostenlose Bücher