0810 - Homo sapiens X7
er gegen ein festes Hindernis stieß. Es war eine Wand, die parallel zum Eingang verlief. An ihr entlang konnte man nach beiden Seiten tiefer in das Gebilde eindringen.
Vanne entschied sich für den nach links verlaufenden Gang. Die Luft, die er jetzt atmete, war von einem undefinierbaren Duft eriüllt, der Vanne abstieß. Vielleicht war das sogar ein beabsichtigter Effekt, um Eindringlinge fernzuhalten.
Dann vernahm Vanne ein fernes Rauschen. Es war nicht gleichmäßig, sondern erfolgte in bestimmten Intervallen, so daß sich Vanne der Verdacht aufdrängte, es könnte sich um eine Art Botschaft handeln.
Er blieb stehen und verließ im gleichen Augenblick die Spitze der Bewußtseinspyramide.
Indira Vecculi erhielt Gelegenheit, sich einen unmittelbaren Begriff von den Geräuschen zu machen.
Als Neurobio-Positronikerin war sie am ehesten geeignet, den Sinn einer fremdartigen Nachricht zu entschlüsseln, Indira hielt Vannes Vorgehen grundsätzlich für falsch, und sie hätte, wenn sie dazu in der Lage gewesen wäre, sofort andere Maßnahmen ergriffen. Sie wußte jedoch längst, daß sie nur so lange die Führung behalten konnte, wie es im Interesse der Gesamtkonzeption notwendig erschien. Der Versuch, einem fremden Wesen, das sich zudem noch als feindlich dargestellt hatte, trotz der eigenen Schwierigkeiten zu helfen, erschien der Positronikerin absurd.
„Reine Gefühlsduselei!" murmelte sie und erschrak unwillkürlich vor dem männlichen Klang ihrer Stimme. Sie erinnerte sich, daß es Vannes Originalkörper war, in dem sie und alle anderen Bewußtseine existierten.
Ihrer Ansicht nach hatte ES bei der Vermischung maskuliner und femininer Bewußtseine in einem männlichen Körper einen Fehler begangen.
Außerdem war da noch dieses Kind, dieser Jost Seidel! dachte sie ärgerlich. ES hätte seine Wahl nicht ausschließlich nach den anerlernten Fähigkeiten der Bewußtseine treffen dürfen, wie es offensichtlich geschehen war.
Psychische Gegebenheiten hatten offenbar überhaupt keine Berücksichtigung gefunden.
Wie sonst war es denkbar, daß sie, die auch unter den Aphilikern hochgeachtete Wissenschaftlerin, mit einem Säufer wie Pale Donkvent einen Körper „bewohnen" mußte?
Indira Vecculi war überzeugt davon, daß sie längst noch nicht alle Nachteile der Bewußtseinszusammenballung kannte. Die würden sich erst im Laufe der Zeit herauskristallisieren, und sicher kam es dann noch zu einer Reihe unangenehmer Überraschungen.
Dank des vereinigten Wissens stellten die sieben Bewußtseine sicher ein einmaliges Konzept dar, aber das war auch alles.
Trotz ihrer Unzufriedenheit vergaß Indira nicht ihre eigentliche Aufgabe und ließ die Geräusche aus den Tiefen des Gebäudes auf sich einwirken.
Bald stellte sie fest, daß die Intervalle rhythmisch waren.
Wenn es sich tatsächlich um eine Nachricht handelte, dann wurde diese regelmäßig wiederholt.
Sicher war sie für andere Wesen gedacht als ausgerechnet für sieben in einem menschlichen Körper vereinigte Bewußtseine!
Die Wissenschaftlerin war überzeugt davon, daß der Lärm erst nach ihrem Eindringen in dieses Monument - begonnen hatte. Es handelte sich also sehr wahrscheinlich um die Reaktion einer robotischen Anlage.
Wenn es ein Alarmsignal war, diente es vielleicht dazu, unbekannte Bewacher herbeizurufen.
Es war aber auch nicht ausgeschlossen, daß es sich um eine Warnung handelte.
Indira setzte den Körper, den sie nicht als ihren eigenen akzeptieren konnte, wieder in Bewegung. Sie wunderte sich, daß ihr die motorische Steuerung keine Schwierigkeiten bereitete und daß selbst das vegetative System seine unbewußten Aufgaben getreulich ausführte, gleichgültig, ob Vanne oder ein anderes Bewußtsein das Kommando innehatte.
Das ließ auf eine vollkommene Integration aller Bewußtseine schließen.
Es bedeutete aber auch - und diese Vorstellung eröffnete phantastische Konsequenzen -, daß ein menschlicher Körper in der Lage war, für mehr als nur ein Bewußtsein dazusein.
Wie groß mochte das Fassungsvermögen eines Körpers sein?
Konnte er eine unbegrenzte Anzahl von Bewußtseinen aufnehmen?
Der Gedanke, zwanzig Milliarden Menschen in einem Körper als eine Art Superinkarnation wiederzufinden, ließ sie vorübergehend schwindlig werden. Aber das war wohl unmöglich, alles hatte seine Grenzen.
Die Wand, an der sie sich vorwärts getastet hatte, war plötzlich zu Ende. Indira Vecculi vermutete, daß sie vor einem großen Raum stand.
Ein
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