0818 - Sarkanas Erbe
sein.«
»Zamorra ist auf dem Weg hierher. Das solltest du wissen.«
Laertes schien wenig begeistert. »Dann hoffen wir, dass er sich ein wenig Zeit lässt. Je mehr, je besser. Jede Information kann wichtig sein. Jede Störung könnte fatale Folgen haben. Die drei Wesen, denen du gefolgt bist, könnten zu einer unberechenbaren Gefahr werden, fürchte ich.«
Van Zant hatte Mühe, die geflüsterten Worte wirklich zu verstehen. Der bleiche Vampir legte den Zeigefinger seiner linken Hand an die Lippen. Das Zeichen war unmissverständlich.
Als sie den Platz erreichten, den Laertes vorhin verlassen hatte, machte van Zant große Augen. Er blickte in den Thronsaal, aus dem sie doch gerade erst gekommen waren. Er hatte Mühe, nicht die eine oder andere Frage abzuschießen, doch er nahm sich zusammen.
Laertes nickte zufrieden. Assunta schien gerade erst aus seiner Konzentration zu erwachen. Seine Augen blickten durch seine Begleiter hindurch. Irgendetwas war in ihm aufgebrochen, an die Oberfläche seines Denkens zurückgekehrt.
Wie in Trance führte er seinen unterbrochenen Bericht fort.
Und tiefste Vergangenheit wurde wieder lebendig.
***
Vergangenheit - Afrika - die Urwälder im Süden Ghanas:
Assunta öffnete die mit kunstvollen Schnitzereien verzierte Truhe. In ihr ruhte nur ein einziger Gegenstand, der sie nicht einmal zu einem Drittel ausfüllen konnte. Der freie Raum in dem Kasten war mit unzähligen Tüchern aus reinster Seide ausgefüllt, damit ihr bei einem Transport kein Schaden zugefügt werden konnte.
Sie war unsagbar wertvoll, ein heiliges Relikt aus dunkelster Vergangenheit. Vorsichtig hob der König der Asanbosam die Krone aus ihrem Seidenbett. Sie war schwer, viel schwerer, als es der Augenschein verriet.
Die Insignie der Macht über sein Volk - die Dunkle Krone.
So viele Sagen und Legenden rankten sich um die Entstehung der Krone. Auf dem afrikanischen Kontinent gab es zahlreiche Vampirfamilien, Clans, die sich gegenseitig mieden. Sie alle hatten ihre Territorien klar abgesteckt. Grenzüberschreitungen kamen kaum vor.
Doch jeder Clan hatte seine eigene Geschichte, wenn es um die Dunkle Krone ging. Seit jeher war sie im Besitz der Asanbosam gewesen. Und nur ihr König hatte das Recht, sie zu tragen. Man sagte, unter ihrer Herrschaft könnten sich die Clans miteinander vereinen, wenn einmal eine große Gefahr für die Nachtkinder Afrikas drohte.
Assunta bevorzugte den Mythos, den sein Volk um die Krone geschmiedet hatte.
Die Asanbosam glaubten, dass der erste Baum, der je in Afrika existiert hatte, von mächtigen Dämonen gepflanzt worden war. Schwarz war sein Stamm, schwarz die Blätter in seiner riesigen Krone, die den ganzen Kontinent überspannte. Doch als sich das Licht gegen die Schatten erhob, verdorrte der Urbaum. Ein Weltenfeuer verzehrte ihn, tötete alles, was in ihm lebte. Nur ein einziger Strang seiner Wurzeln blieb verschont - und aus ihm schnitzte ein Diener der Dämonen die Dunkle Krone. Er gab sie den Asanbosam, die einst die Hüter des großen Baumes gewesen waren. Er prophezeite dem Volk, dass der Tag kommen würde, an dem die Krone Afrikas Nachtvolk unter ihren Schutz nahm.
Soweit der Mythos. Assunta liebte solche Geschichten, doch er maß ihnen keine besonders große Bedeutung bei. Und doch - etwas ging von der hölzernen Krone aus, etwas, das er nicht fassen, nicht begreifen konnte. In ihr ruhte eine Macht, die ihm verborgen blieb. Ihm, dem König!
Assunta betrachte die Krone von allen Seiten. Sie war vollkommen schlicht gearbeitet. Keine Verzierungen, keinerlei Schnitzereien oder Intarsien - nicht einmal ein einziger Edelstein. Ihre Form ähnelte einem Schild, das sich nach oben hing verjüngte und schließlich in einer Spitze endete.
Dennoch strahlte sie eine ganz eigene Schönheit aus, die niemand je hatte in Worte fassen können.
»Du kannst dich an ihr nicht satt sehen, nicht wahr?«
Assunta fuhr herum. Er hatte nicht bemerkt, dass Sabeth, seine Gattin, den Raum betreten hatte. Die Augen des Königs bekamen einen warmen Glanz. »An dir kann ich mich nicht satt sehen, Sabeth. Und du weißt das.«
Sie war eine Schönheit.
Als Assunta vor mehr als zweihundert Jahren in den Dschungel Ghanas zurückgekehrt war, hatte er die Bedrohung, der sein Volk ausgesetzt war, schnell beendet. Unter der Führung ihres Königs hatten sich die Asanbosam gegen die Menschen zur Wehr gesetzt. Nur ein kurzer Krieg, doch einer, den die Menschen hier so schnell nicht vergessen sollten.
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