082 - Das Geheimnis der Kristalle
Empörung des Kapitäns war nicht weniger heftig als dieses Gefühl, und er gab ihr Raum, um sich des Schauderns und der Scheu zu erwehren, die ihn plötzlich ergriffen. Dazu kam die Sorge um sein Schiff und der Gedanke an die Fracht und den Markttag.
»Da könnte ja jeder kommen und behaupten: ›Die Macht im See schickt mich, gib mir, was dir gehört!‹«, gab er zurück.
»Vorsicht, Kapitän«, flüsterte der Steuermann, »oder du machst dich der Lästerung schuldig!«
»Ach…!« To’rish knurrte, stieß Lar’sjew zur Seite und packte die erste Harpune mit vier Händen. »Kommt an Bord, Woiin’metcha! Wir bergen eure Beute und nehmen euch mit nach Ma’an’tschech! Dort teilen wir friedlich! So viel kann ich euch anbieten.«
Die Schwertkrieger reagierten nicht.
To’rish wartete noch einige Sekunden, dann interpretierte er das Schweigen als Einverständnis. Er hob die Harpune über den Kopf, holte aus und schleuderte sie mitten hinein in die weißgraue Fleischwölbung am Heck des Ruderboots.
Fleisch zerriss mit hässlichem Geräusch. Bis zur Hälfte des hölzernen Schafts fuhr die Waffe in den vermeintlichen Fischrücken. Der senkte sich kurz unter Wasser, tauchte sofort wieder auf und sonderte weißlichen Schleim aus der Wunde ab.
»Strickleitern hinunter!« To’rish packte die zweite Harpune.
»Zwei Männer an die Seilwinden! Wir befestigen das Vieh an der Bordwand!«
Die Schwertkrieger auf ihren Ruderbänken regten sich nicht.
Stumm beobachteten sie das Treiben der Fischfänger.
Jemand ließ die Strickleiter über die Bordwand. Der Kapitän hob die zweite Harpune, die mit der zweiten Seilwinde neben dem vorderen Mast verbunden war. Lar’sjew aber schob sich zwischen ihn und die Reling. Mit drei Händen griff er nach dem Harpunen-Schaft. »Sieh nur, To’rish! Sieh dir das an!«
Mit ausgestrecktem vierten Arm deutete er auf das getroffene Wesen.
Wie erstarrt hing die Besatzung über der Reling und starrte hinunter auf den Rücken des Beutetieres: Stück für Stück versank die Harpune in seinem Fleisch, als würde das Wesen sie aufsaugen! Kürzer und kürzer wurde der Schaft, bis er endgültig in der weißgrauen Haut verschwand.
Aber damit nicht genug - auch das Seil saugte der fremdartige Körper auf. Erst straffte es sich, dann spannte es sich, dann scheuerte es über die Reling, und der Schiffsrumpf neigte sich knarrend nach Backbord dem Ruderboot der Fremden entgegen.
»Komm!«, tönte es dumpf aus dem Laderaum. »Es muss kommen, es gehört der Macht… !«
Jetzt kam Bewegung in die Schwertkrieger. Fast gleichzeitig erhoben sie sich. Ihr Sprecher griff nach dem unteren Holm der Strickleiter und zog sich hinauf. Ein paar Männer an der Reling begannen zu zittern, andere wichen scheu zurück, bis sie gegen Masten, Seilwinde oder Deckaufbauten stießen. Lar’sjew, der Steuermann zog mit der Harpune die vier Arme seines Kapitäns herunter.
In diesem Augenblick geschah es: Der grauweiße Fleischrücken bäumte sich auf, das Schiff - plötzlich losgelassen - krängte nach Steuerbord, die Fischer stürzten auf die Decksplanken, und etwas schoss schlangengleich aus dem Wasser, hielt To’rish fest, wand sich um seinen hageren Leib und riss ihn über die Reling in den See.
Wie ein Mann schrie die Besatzung auf. Lar’sjew zog sich an der Balustrade hoch, wollte nach seinem Kapitän schauen und hörte neben sich ein metallenes Geräusch: Der erste Schwertkrieger war an Bord gesprungen und hatte sein Langschwert aus der Rückenscheide gezogen…
***
Ein Wald - Birken und hier und da eine Eiche -, dazwischen weite Flächen kniehohen Grases, eine Brücke über ein Flüsschen, Gemäuer aus grünlich schimmernden Kristalltrümmern, und hinter den Birkenwipfeln die endlose Wasserfläche des Kratersees - das war die Welt, in der Dave McKenzie an diesem Morgen erwacht war.
Er stand vor einer offenen, bis zum Boden reichenden Fensteröffnung, wie es sie in der Festung zu Hunderten gab.
Von hier aus konnte man auf die flache, aus Kristallen erbaute Brücke über den kleinen Fluss hinunter schauen. Daves Atem flog ein wenig, weil er gerade seine morgendlichen dreißig Liegestützen absolviert hatte. Jetzt dehnte er seine Rücken- und Armmuskulatur und konzentrierte sich anschließend auf eine Atemübung.
Motorengeräusch ließ ihn aufhorchen. Er unterbrach seine Übungen und spähte über den freien Platz vor der Festung. Ein kleines Fahrzeug pflügte durch das Gras zwischen Flüsschen und Wald.
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