082 - Die Geisterkadetten
unsichtbaren Schacht bog plötzlich die Flamme der Fackel nieder. Als das Licht sich duckte, wandte Jeanne Fresnac sich zur Seite und schlüpfte durch einen schmalen Spalt. Es war derselbe Weg, den sie in dieser Nacht in umgekehrter Richtung schon einmal gegangen war, aber allein.
Diesmal hatte sie Gefährten. Einer nach dem anderen schlüpften sie durch den Spalt in von Menschenhand geformte Räume. Sie befanden sich in den unterirdischen Gewölben des alten Châteaus.
Jeanne stand aufrecht, steif und gerade. Die Fackel in ihrer erhobenen Hand blakte leise knisternd. Hinter den halbgeschlossenen Lidern des Mädchens fast verborgen, glimmte das Zwillingspaar der Fünkchen, die das Fackellicht darin entfachte.
»Wir gehen hinauf in den Gasthof und tun so, als wären wir die ganze Zeit dort gewesen«, befahl Jeanne mit ruhiger Stimme. Sie setzte sich wieder in Bewegung, und ihre unter so seltsamen Umständen gefundene Gefolgschaft folgte ihr ohne zu murren.
***
Der Himmel im Osten war wie von überirdischen Zauberern mit rosaroter Farbe Übergossen.
Frank und Barbara bogen von dem Bergpfad auf die schmale Straße in Richtung Villaume. Ein grauschwarzer Schäferhund mit einem seltsamen, hochstehenden Nacken trabte am Rande der Straße entlang. Seine Brust und seine Schnauze waren vollkommen verklebt von geronnenem Blut. Er sah sonderbar satt und zugleich gierig aus.
Der Hund bemerkte sie, stoppte seinen Lauf und starrte scheu zu ihnen herüber.
Ein Sturzbach von verwirrten Gedanken durchpurzelte Frank plötzlich. Er hatte das Gefühl, als wäre er etwas Unsagbarem ganz nahe.
Frank schluckte.
Wie kam es, daß ihn dieses harmlose Tier, das offenbar gewildert hatte in Unruhe versetzte? Verlor er etwa auch schon seinen kühlen Verstand.
»Ist was, Frank?« Barbaras übernächtigtes Gesicht sah fragend zu ihm auf.
»Was? – nein.«
Der Reporter wischte sich über die Augen. Als er aufblickte, war der Hund verschwunden. Er faßte Barbaras Schulter und sie gingen weiter.
Die Dächer des Dorfes ragten in einiger Entfernung in das Grau des heraufziehenden Tages. Eine verspätete Eule flog niedrig über Frank und Barbara hinweg. Das weiche Sausen ihrer Flügel ließ sie aufblicken, gerade noch rechtzeitig um ihren stumpfen Schnabel und die Augen zu erkennen, die ihr wie von ewigem, lächerlichem Erstaunen tief in den Höhlen lagen.
Schon nach kurzer Zeit machte die Straße eine Biegung und die ersten Gebäude des Ortes tauchten rechts und links vor ihnen auf. Frank und Barbara brauchten nicht lange nach der Polizeistation zu suchen. Vor dem kleinen Haus hatte sich trotz der frühen Morgenstunde gerade eine kleine Schar von Menschen versammelt.
Während ein älterer Mann mit der Faust gegen die Haustür trommelte, sahen die anderen den beiden auftauchenden Fremden schweigend und mißtrauisch entgegen.
Frank Connors und Barbaras Gruß wurde kaum erwidert.
Sergeant Dillan, der von Inspektor Casteret zur Vertretung des Ortsgendarmen in Villaume zurückgelassen worden war, tauchte verschlafen und leicht geistesabwesend im Türrahmen auf.
Die Männer und Frauen begannen wild auf ihn einzureden. Frank entnahm den Wortfetzen ihrer erregten Stimmen, daß sie sich Sorgen um ihre Söhne und Töchter machten, die seit gestern abend nicht nach Hause gekommen waren.
»Moment. Augenblick.« Dillan hob abwehrend die Hände.
»Nicht alle durcheinander. Also, was ist los?«
Robert Perichard, der eben .schon mit der Faust gegen die Tür gedonnert hatte, ergriff das Wort. Er war ein hochgewachsener Mann, trug eine Mütze und einen Pullover. Sein schmales, frischfarbenes Gesicht wurde von einem weißen Schnurrbart und mächtigen weißen Augenbrauen erhellt.
»Monsieur, wir möchten Jean sprechen. Ich meine, den Gendarmen Jean Dupont.«
»Der Gendarm Dupont ist erkrankt. Ich bin vorerst zu seiner Vertretung hier«, erklärte Dillan. »Also, was gibt es?«
»Also, das ist so. Mein Sohn Claude hat gestern abend mit seinen Freunden ein wenig gefeiert. Er ist nämlich gestern Doktor geworden müssen sie wissen.« In Perichards Stimme klang unverhohlener Stolz mit. »Aber er ist nicht nach Haus gekommen…. und alle anderen auch nicht… Da stimmt doch etwas nicht«, setzte der Bauer besorgt hinzu. Er hob die buschigen Brauen und sah Dillan an, als erwarte er eine sofortige Erklärung für das Ausbleiben seines Sohnes und der Anderen.
»Das ist doch kein Grund zur Beunruhigung.« Der Sergeant gähnte.
»Die jungen Leute werden
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