082 - Die Geisterkadetten
schreien.
Bevor sich das Mauerwerk fugenlos schloß, hörten Jeanne und die vier jungen Männer noch die Schreie.
Die alte Zigeunerin war noch da. Sie stand vor der Tür des Badezimmers und blickte ihnen unter gerunzelten Brauen entgegen. Langsam und mißmutig ließ sie ihren Blick von einem zum anderen schweifen. Dann blieben ihre Augen mit einem bösen Ausdruck auf Jeanne haften.
»Ihr seid wirklich zu dumm«, zischte sie. Sie schüttelte den vertrockneten Schädel.
»Was denkst du, wird die Polizei zu deinem Alten sagen, der da drinnen tot im Wasser schwimmt«, fuhr sie Jeanne an. Ihr starrer, steifer Finger wies auf die offenstehende Tür.
»Mein Vater ist tot? Davon wußte ich nichts«, Jeanne schob sich an der Alten vorbei in das erleuchtete Badezimmer.
Der furchtbare Anblick, der sich ihr bot, berührte sie nicht.
»Wirklich, mein Erzeuger ist tot«, sagte Jeanne fröhlich. Ihre Augen glitzerten und ihre Nasenflügel bebten. »Wir schaffen den Guten auch in das Gewölbe, dann findet ihn niemand«, setzte sie hinzu.
»Du Närrin«, murmelte die Greisin.
»Die Polizei wird sich dafür interessieren, wo dein Vater geblieben ist. Man wird das Haus und die ganze Umgebung auf den Kopf stellen, und wir werden keine Ruhe haben. Ich habe einen besseren Gedanken.« Ein hämisches Grinsen, das sekundenlang in dem runzligen Gesicht lag, verflüchtigte sich schnell wieder. Die Alte fuhr sich mit der Hand über die Stirn.
»Mag sein, daß es nicht klappt. Es ist schon Tag und meine spezielle Methode eignet sich eigentlich nur für die Nacht. Macht das Licht aus«, schloß sie erregt.
Einer der jungen Männer drückte den Schalter herab und die elektrische Lampe erlosch. Das fahle Grau des Morgens, das durch die Milchglasscheiben des Fensters hereinkroch, erhellte das Badezimmer nur schwach. Hinter der alten Zigeunerin und Jean-ne Fresnac drängten sich die dunklen Schatten der jungen Vampire Die Alte trat bis an den Rand der Badewanne vor. Sie kramte etwas aus ihrer Kleidung und hielt es in die Höhe. Es war ein Stück Silber, das wie eine Mondsichel geformt war und an jedem seiner spitzen Enden einen Buckel trug. Von Buckel zu Buckel maß das Ding etwa zehn Zentimeter.
Die Greisin stammelte mit zitternder Stimme geheimnisvolle Worte, während sie den Gegenstand in das Wasser tauchte und sanft auf den Oberkörper der Leiche legte, genau auf die Stelle, wo das hochgerutschte Hemd ein Stück der hellen Haut freigab.
Die Zigeunerin schien auf sonderbare Weise außer sich zu geraten. Ihre Beschwörungen wurden immer lauter. Von fanatischem Eifer beseelt, schien ihr in der Erregung wiegender Körper dem toten Jules Fresnac den hypnotischen Ruf übermitteln zu wollen:
»Steh auf! Steh auf!«
Alle standen wie in einem Zauberkreis gebannt, als die Alte mit hallender Stimme ausrief. »Erhebe dich Jules Fresnac. Die große Zeituhr, die dein Leben ausmißt, setze sich noch einmal in Bewegung!« Ihre Stimme schien die Kraft zu haben, über alle Grenzen hinweg’ in das dunkle jenseitige Reich und an das Ohr des Toten zu dringen.
Plötzlich entstand in dem Wasser eine Bewegung. Wie eine kleine Insel tauchte die bleiche Stirn des Wirts -n der Oberfläche auf. Die Hände folgten, ergriffen den Rand der Wanne, und dann hob sich sein ganzer Körper aus der Flut.
Jeanne, die Zigeunerin und die übrigen wichen zurück.
Der Wirt, der sich erst an seine neue Existenz gewöhnen mußte, sah sich mit leeren, erstaunten Augen um. Dann bewegte er seine Arme und Beine prüfend, wobei das Wasser von seinen Gliedern troff. Der Anblick war grotesk und grauenhaft zugleich. Es sah fast so aus, wie der Tanz eines Bären.
Unter dem bleichen Gesicht mit der Hakennase und dem aufwärtsweisenden Kinn, das so fatal einem orientalischen Schuh ähnelte, zeigte sich die Wunde an Fresnacs Hals, aus der noch rötlich gefärbtes Wasser auf seine Brust lief.
Noch schien er sich seines neuen Lebens nicht recht bewußt zu sein. Er schüttelte das Haupt als befreie er sich von einem Traum. Die weitaufgerissenen Augen starrten aus dem triefenden, todesblassen Gesicht ins Leere.
Die jungen Leute die das Phänomen mit einer unnatürlichen, gleichmütigen Gelassenheit hinnahmen, sahen, daß die Alte plötzlich verschwunden war. Keinem von ihnen, verlangte es danach ein Wort zu verlieren. Sie alle, deren Pulsschläge im gleichen Takt geordnet waren, wußten jetzt, was sie zu tun hatten.
Jeanne und zwei Mädchen entkleideten den Wirt und rieben ihn mit
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