0826 - Der knöcherne Hexer
begonnen hatte. Er würde lang werden und die sich daran anschließende Nacht ebenfalls.
Sie würde sie allein verbringen, undtrotzdem würde ein unsichtbarer Begleiter bei ihr sein.
Es war die Angst.
Noch nicht so stark, aber je mehr Zeit verstrich, je länger sie allein war, umso stärker würde die sich in ihr ausbreiten. Dieser Scott Mullion hatte sie gedrängt, am nächsten Tag zu verschwinden.
Möglicherweise hatte er sogar Recht damit gehabt, es wäre für sie besser gewesen, aber diese eine Nacht wollte sie noch durchhalten und es ihnen beweisen.
Am anderen Morgen, wenn es hell war, sah die Welt sowieso ganz anders aus. Da konnte sie immer noch überlegen, wie sie weiterhin vorging. Lange hatte sie nicht mehr geraucht, doch nun brauchte sie eine Zigarette. Das Päckchen war noch nicht angebrochen. Sie zupfte den ersten Glimmstängel hervor und steckte ihn zwischen die Lippen. Zuvor hatte sie eine Flasche Rotwein geöffnet und ein Wasserglas gefüllt. Sie trank in langsamen Schlucken und spürte die wohlige Wärme des Weins. Einsam saß Swenja am Tisch, hing ihren Gedanken nach, runzelte hin und wieder die Stirn und dachte über ihre nahe Zukunft nach, die so verschwommen lag, denn sie wusste nicht, was am nächsten Tag passieren würde.
Langsam strömte der Rauch aus ihren Nasenlöchern und breitete sich vor der Tischplatte aus. Immer wieder musste sie an die Gebeine denken und natürlich auch an den Film, den sie gedreht hatte. Da waren über den Knochen die seltsam farblosen Wolken geschwebt, als wären die Seelen der Toten zurückgekehrt, die einmal zu diesen Gebeinen gehört hatten.
Sie schüttelte sich, als ein erneuter Schauer über ihren Rücken floss. Still war es nicht. Gegen Abend hatte der Wind zugenommen und rüttelte am Wagen. Sie hörte ihn, und sie vernahm auch die fremden Geräusche, die er hinterließ.
Da klagte und jammerte er, da fuhr er durch die weiter entfernt stehenden Bäume, um dort die letzten Blätter abzureißen. Die Tür schloss nicht ganz dicht. Hin und wieder spürte sie einen kalten Luftzug durch das Innere streichen, wenn es der Wind geschafft hatte, durch eine Lücke zu fahren.
An die Geräusche konnte man sich gewöhnen, aber nicht an das plötzliche Kratzen an der Fahrertür.
Sofort saß die Frau starr.
Hatte sie sich geirrt, oder hatte da tatsächlich jemand an der Tür gekratzt?
Noch war nichts zu hören, kein zweites Kratzen erklang. Sie war gerade dabei, sich zu erheben, als das Geräusch erneut erklang.
Diesmal sogar lauter, verbunden mit einem dumpfen Ton, als hätte sich jemand gegen die Tür geworfen.
In ihrem Hals setzte sich ein Kloß fest, als Swenja sich abstützte und langsam aufstand. Sie schaute gegen eines der Fenster. Die Scheibe konnte sie nicht sehen, weil sie durch einen Vorhang verdeckt war, aber das Kratzen an der Fahrertür blieb.
Mit möglichst lautlosen Schritten umrundete sie den Tisch und ging geduckt nach vorn auf die Fahrertür zu. Hinter dem Sitz fand sie genügend Platz. Sie streckte sich und schaute aus dem Fenster.
Der Sichtwinkel war schlecht. Ihr Blick verlor sich in der Dunkelheit des Abends, aber sie konnte den Schatten sehen, der sich aus dem toten Winkel löste.
Es war der Hund vom Nachmittag, der gekratzt hatte. Er musste die Nähedes Menschen spüren, denn sie hörte sein fast bittendes Jaulen. Sie lächelte, denn sie mochte Hunde, und sie dachte daran, dass er möglicherweise Hunger hatte.
Das Reisfleisch hatte Swenja sowieso nicht geschmeckt. Daher holte sie eine neue Dose hervor, öffnete sie und häufte das Zeug auf einen flachen Teller. »Das wird dir schmecken«, murmelte sie vor sich hin. Wahrscheinlich war der Hund ein armer Kerl, den niemand haben wollte. Nach einer wertvollen Rasse sah er jedenfalls nicht aus. Er wirkte mehr wie ein Bastard.
Angst hatte sie vor Hunden nicht, denn im Elternhaus war sie mit den Tieren aufgewachsen.
In der rechten Hand hielt sie den Teller, mit der linken öffnete sie die Tür.
Sofort fegte ihr der Wind ins Gesicht. Er brachte den kalten Geruch des Meeres mit und biss in die Haut. Aus einem Reflex heraus schloss sie die Augen, und als sie diese wieder öffnete, stand der Hund hechelnd vor ihr. Er hatte sein Fressen bereits gewittert, traute sich aber nicht, danach zu schnappen.
Swenja Hart stieg die eine Trittstufe hinab bückte sich und stellte den Teller auf den Boden.
Sofort war das Tier da. Es stürzte sich auf das Fressen, was darauf schließen ließ, wie
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