0827 - Der Dämon von Songea
Mücken, die sich ihr träge näherten, um sich an ihrem Blut zu laben.
»Verzieht euch, verdammte Vampire!«, zischte sie missgelaunt.
Zamorra starrte auf den vertrockneten Boden. »Vielleicht gehen wir die Sache falsch an.«
»Wie meinst du das?«, fragte Nicole, plötzlich neugierig geworden.
»Wir dürfen nicht vergessen, dass wir das Grab eines Mannes suchen, dessen Spuren so gut wie möglich verwischt worden sind. Sie werden Hardenberg kaum ein Erste-Klasse-Begräbnis verpasst haben. Wenn sie ihn überhaupt irgendwo begraben und seinen Körper nicht irgendwo in der Savanne den Hyänen zum Fraß vorgeworfen haben. Wir müssen also nicht nach dem auffälligsten Grab suchen…«
»Sondern nach dem unscheinbarsten !« Mit einem Schlag war Nicole wieder hellwach. »Irgendwo am Rand!«
Von ihrem Standort aus hatten sie eine gute Übersicht über den älteren Teil des Friedhofs. Es dauerte eine Weile, doch dann entdeckten sie es gleichzeitig.
»Da!«, rief Nicole und deutete auf eine unauffällige Stelle an der Außenmauer. Auf den ersten Blick war nichts Verdächtiges zu erkennen. Seltsam war nur, dass offenbar zwischen zwei schlichteren Gräbern Platz genug für ein drittes gelassen worden war.
»Okay, sehen wir uns das mal an.« Ein inneres Kribbeln verriet Zamorra, dass sie am richtigen Ort waren.
Während alle anderen Gräber des Kolonialfriedhofs von Unkraut überwuchert waren, war die leicht gewölbte Fläche völlig unbewachsen - so, als fürchteten sich selbst die Pflanzen vor dem, was hier vor hundert Jahren begraben worden war. Kein Kreuz oder Stein verriet, wer hier zur letzten Ruhe gebettet worden war, aber offenbar wussten die Bewohner von Songea trotzdem Bescheid. Das anonyme Grab war übersät mit kleinen Kreuzen und Amuletten. Nicole ging in die Knie und begutachtete die Kleinode.
»Einige dieser Amulette sind schon sehr alt«, sagte sie und hielt ein kleines Silberkreuz hoch. »Aber das hier sieht fast neu aus.«
»Offenbar haben die Bewohner von Songea nie vergessen, wer sie einst malträtiert hat«, erwiderte Zamorras nachdenklich. »Man kann die Geschichtsbücher fälschen, aber das kollektive Bewusstsein lässt sich nicht so schnell täuschen. Sie wollten verhindern, dass das, was hier begraben liegt, je wieder aus der Erde hervorkriecht um sie erneut zu peinigen.«
»Aber es hat nicht viel genützt. Jemand hat sich an dem Grab zu schaffen gemacht. Offenbar erst vor ein paar Tagen«, sagte Nicole düster. Zamorra kniete sich ebenfalls hin und untersuchte die aufgeworfene Erde.
»Ja, aber hier hat niemand etwas ausgebuddelt. Es sieht so aus, als hätte sich etwas von innen den Weg nach außen frei gekämpft.«
»Also hat dieser Ferdinand von Hardenberg einen Weg gefunden, dem Tod ein Schnippchen zu schlagen.«
Zamorra nickte. »Und vermutlich ist er gefährlicher, als je zuvor.«
***
James Mutombo wusste nicht, wie viele Stunden er im Bezirksarchiv von Songea verbracht hatte, es mussten hunderte gewesen sein. Aber nie zuvor hatte er sich so angespannt gefühlt wie diesmal. Das Unheil, das sich über der Stadt zusammenzog, war fast körperlich spürbar. Wie Blei drückte es auf James’ Brust und ließ ihm kaum Luft zum Atmen.
Die alte Dame, die hinter ihrem kleinen Tischchen die Regalreihen mit Argusaugen überwachte und streng darauf achtete, dass niemand etwas mitgehen ließ oder auch nur ins falsche Regal zurücksteckte, sah ihn misstrauisch an. Miss Molo war ein schmächtiges Persönchen mit dem Charme eines schlecht gelaunten Feldwebels.
Es hatte James Wochen gekostet, sie davon zu überzeugen, dass er nicht beabsichtigte, die wertvollen Archivalien des Bezirks Songea zu stehlen und auf dem heiß umkämpften Historiker-Schwarz -markt meistbietend zu verhökern.
Doch James’ Charme hatte ihren Panzer schließlich geknackt, und unter der bärbeißigen Oberfläche war eine warmherzige, etwas einsame Frau zum Vorschein gekommen, die den jungen Historiker aus der Hauptstadt inzwischen fest in ihr mütterliches Herz geschlossen hatte. Und deshalb schrillten bei Miss Molo auch gleich alle Alarmglocken, als ihr Schützling an diesem Vormittag wie sein eigener Geist durch die Regalreihen schlich.
»Ist Ihnen nicht wohl, Doktor Mutombo? Soll ich Ihnen ein Glas Wasser holen?«
James hatte der alten Dame mindestens hundertmal erklärt, dass er noch kein Doktor war, sondern erst an seiner Dissertation arbeitete. Aber dieser feine Unterschied schien Miss Molo nicht im Mindesten zu
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