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0827 - Der Dämon von Songea

0827 - Der Dämon von Songea

Titel: 0827 - Der Dämon von Songea Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Balzer
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interessieren. Für sie trugen alle studierten Menschen den Titel Doktor, und damit basta.
    James hatte es längst aufgegeben, sie zu korrigieren. Mit einem gezwungenen Lächeln wischte er sich den Schweiß von der Stirn. »Nein, Miss Molo, vielen Dank. Es ist alles in Ordnung.«
    »Sie sehen blass aus.«
    »Ich bitte Sie, ich bin schwarz!«
    Der flaue Witz zog nicht. Miss Molo blickte nur noch strenger über ihre kleinen Brillengläser und runzelte missbilligend die Stirn. »Papperlapapp, Sie sehen trotzdem blass aus. Haben Sie heute überhaupt schon etwas Anständiges gegessen?«
    »Ich hatte ein ausgesprochen opulentes Frühstück.«
    Das war eine glatte Lüge, aber immerhin lehnte sich Miss Molo beruhigt zurück. »Die meisten jungen Leute essen heutzutage nämlich viel zu wenig, wissen Sie?«
    »Da haben Sie sicher Recht, Miss Molo«, sagte James und brachte sich hinter einem der nächsten Regale in Sicherheit.
    Er wusste, dass es nicht leicht werden würde, das zu finden, was er suchte. Miss Molo bewachte ihre staubigen Aktendeckel wie ein Heiligtum, aber wie die meisten ihrer Vorgänger war sie keine Archivarin. Generationen von schlecht oder gar nicht ausgebildeten Hilfskräften hatten von Beginn an ihre sehr eigenen Ordnungssysteme verwendet, um die neu hinzukommenden Dokumente einzuordnen und ihr Wissen nur sehr unzureichend oder gar nicht an ihre Nachfolger weitergegeben.
    So konnte es durchaus sein, dass ein wichtiges Dokument über Strafexpeditionen der deutschen Kolonialregierung gegen die einheimische Bevölkerung unter »M« abgelegt war, weil der entsprechende Bericht an einem Mittwoch im Archiv eingetroffen war, oder unter »G«, weil der befehlshabende Offizier Gersfeld hieß.
    Vermutlich war es nur diesem Chaos zu verdanken, dass ein paar Dokumente über das Terrorregime des Weißen Zauberers Ferdinand von Hardenberg die große Säuberungsaktion der deutschen Kolonialregierung überstanden hatten, sodass James sie bei seinen Nachforschungen hatte finden können. Doch was diesen Glücksfund überhaupt erst ermöglicht hatte, behinderte jetzt jede weitere Recherche.
    James war klar, dass er wahrscheinlich nur einen Bruchteil der Schätze geborgen hatte, die hier versteckt waren. Miss Molo war ihm auch keine große Hilfe. »Schätzchen, in diesem Haus geht nichts verloren. Sie müssen einfach noch ein bisschen suchen«, pflegte sie fröhlich zu antworten, wenn James sie nach Dokumenten fragte, von denen er überzeugt war, dass sie sich irgendwo in einem der zahllosen Regale oder Schubfächer verbergen mussten. Dann lächelte sie freundlich und wandte sich wieder ihrer Klatschillustrierten zu.
    Also machte sich James erneut daran, sich durch das irrwitzige System des Archivs zu manövrieren. Irgendwann ging Miss Molo eine Kleinigkeit essen und fragte, ob sie ihm etwas mitbringen solle. Der Historiker war sich sicher, dass er der einzige Mensch auf Erden war, dem sie die Ehre zuteil werden ließ, sich allein und ohne Aufsicht in ihrem Reich aufzuhalten. Trotzdem lehnte er dankend ab.
    James suchte sich ein besonders viel versprechendes Regal mit der Aufschrift »Maji-Maji-Krieg, Bezirk Songea« aus und legte los. Bald war er so in seine Dokumente vertieft, dass er gar nicht bemerkte, wie die Zeit verging. Systematisch arbeitete er sich von einem Regal zum nächsten - und schließlich wurde er fündig!
    »Bingo«, murmelte der Historiker, als er das unscheinbare Papier in Händen hielt, das möglicherweise der Schlüssel zu den geheimnisvollen Morden war, die Songea in Atem hielten.
    Er bemerkte erst, dass sich etwas verändert hatte, als ihn plötzlich ein kalter Schauer durchlief. Fröstelnd stand James auf. Es schien, als sei die Temperatur um mehrere Grad gefallen.
    »Blödsinn«, murmelte der Historiker. »Miss Molo hat Recht, du solltest wirklich regelmäßiger essen.«
    Unwillkürlich rieb er sich die vor Kälte fast steifen Hände, doch er schien nur noch mehr zu frieren. In diesem Moment hörte er das Geräusch. Es war eine Art Schleifen, unhörbar fast.
    »Miss Molo?«, fragte James leise.
    Doch die alte Dame hätte sich auf jeden Fall bei ihm zurückgemeldet, und James hatte auch nicht das kleine Glöckchen über der-Tür gehört, das jeden Neuankömmling ankündigte.
    Das war sicherlich nur eine knackende Holzbohle. Mach dich nicht verrückt!, wies sich der Historiker selbst zurecht - als er das Geräusch wieder hörte. Näher diesmal. Viel näher.
    Mit einem Mal wusste James, wie sich Tiere

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