083 - Das Gasthaus an der Themse
blieb ein paar Minuten weg und kam mit Raggit Lane zurück. Offenbar hatte ein Boot an der »Seal of Troy« angelegt. Der Wachhabende war das Fallreep hinuntergeklettert, um mit den Bootsinsassen zu sprechen. Lane folgte ihm. Er blieb einige Zeit verschwunden, und als er heraufkam, war er allein. Er überquerte das Deck und verschwand im Niedergang. Wahrscheinlich hatte er mit Captain Aikness gesprochen, denn nach einer Weile erschien er wieder, beugte sich über die Reling und rief hinunter: »Kommen Sie an Bord, Sir! Der Captain ist bereit, Sie zu empfangen.«
Es war hell genug, um das rote Gesicht des Besuchers zu erkennen, der keuchend und schnaufend das Fallreep heraufkam und laut fluchte über die Steilheit. Lord Siniford war eben kein Sportsmann.
»Tut mit leid, Sie so spät nachts noch stören zu müssen, mein Lieber«, sagte er mit vor Anstrengung zitternder Stimme zu Lane. »Aber die Sache ist wirklich dringend. Ich habe meinen Diener und noch ein paar Männer in meinem Boot zurückgelassen. Wenn ich nicht rechtzeitig zurückkomme, haben sie den Auftrag, einer bestimmten Person zu melden, daß man mich hier festhält.« »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, Lord Siniford«, erwiderte Lane verbindlich. »Wir hätten Sie selbst wieder an Land gebracht, doch wenn Sie Ihr eigenes Boot vorziehen — bitte, uns ist es recht.« Wade fing hin und wieder ein paar Bruchstücke der Unterhaltung auf. Er konnte sich jedoch nur schwer darauf konzentrieren, so erstaunt war er zu hören, daß Lord Siniford glaubte, an Bord der »Seal of Troy« in Gefahr zu sein, und entsprechende Vorsichtsmaßnahmen getroffen hatte.
Der Wachhabende stand mit dem Rücken zur Bordwand und pfiff leise vor sich hin. Wade hätte sich gern zwischen den Tanks auf die andere Seite des Decks durchgeschlängelt. Allmählich wurde es nämlich in seinem Versteck ziemlich ungemütlich, da einer der Tanks heißes Wasser enthielt. Doch als er versuchte, auf der anderen Seite hinauszuschlüpfen, sah er, daß ihm eine Stütze im Weg stand. Er war sehr erleichtert, als der Wachhabende sich umdrehte und über die Reling beugte. »Legt von unserem Kutter ab«, befahl er den Leuten in Sinifords Boot, »und macht bei dem Leichter fest!« Die Antwort, die er bekam, war nicht druckreif. Der Seemann lachte laut auf, und Wade nutzte den nun folgenden Austausch weiterer Freundlichkeiten, sein Versteck zu verlassen und sich auf die strandwärts gerichtete Deckseite zu schleichen. Die dringende Angelegenheit, die Siniford hierhergeführt hat, kann nur etwas mit dieser Anna und ihrem Angriff auf Captain Aikness zu tun haben, dachte er. Sinifords Garage war den ganzen Vormittag bewacht worden, aber er hatte seinen Wagen nicht geholt. Irgendwie war er seinen Beschattern entkommen. Wade vermutete, daß er den ganzen Tag mit Anna verbracht und von der bedauernswerten geistesschwachen Person etwas erfahren hatte, das ihn an Bord der »Seal of Troy« führte. Wade wollte unbedingt das Mannschaftsquartier inspizieren. Einfache Matrosen waren an Deck nicht zu sehen, Wache hatten nur höhere Dienstgrade, vom Steuermannsmaat aufwärts. Der Inspektor versuchte mitschiffs den Eingang zum Maschinenraum zu finden. Er stellte jedoch fest, daß dieser Eingang entweder im Vorschiff oder achtern auf dem Brunnendeck lag, und auf beiden war es zu hell, so daß man sie nicht ungesehen überqueren konnte.
In dem breiten Korridor vor der Offiziersmesse brannte gedämpftes Licht. Wade stieg hinunter und hoffte, daß die Tür nicht zu dick war. Er konnte zwar mehrere Stimmen unterscheiden — Aikness war da, und einmal hörte er das schrille Organ von Lord Siniford —, doch er verstand nicht, was sie sagten.
Es blieb Wade nichts anderes übrig, als sich unverrichteter Dinge wieder zurückzuziehen. Er drehte sich um und erstarrte. Vor ihm im Gang stand Raggit Lane, die rechte Hand tief in der Tasche seines kurzen zweireihigen Tuchjacketts, ein niederträchtiges Grinsen im Gesicht. »Suchen Sie was Besonders, Mann?« fragte er. »Nein, Sir«, antwortete Wade, »nur ein Glas Wasser.« »Sie kommen wohl von einem der beiden Leichter?« Wade wußte sofort, daß Lane ihn erkannt hatte und mit ihm Katz und Maus spielte. Lane hatte eine Waffe in der Tasche, und die Mündung zielte auf den Inspektor. Er ließ sich nicht anmerken, daß ihm die Gefahr bewußt war, in der er schwebte. Er holte seine Tabaksschachtel heraus, öffnete sie, wählte sorgfältig ein rundes schwarzes Stück Kautabak,
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