083 - Das Gasthaus an der Themse
Maschinen an Bord. Zwei schwer beladene Leichter waren längsseits gegangen, und Wade hatte zugesehen, wie die riesigen Frachtkisten in die Laderäume der »Seal of Troy« gehievt wurden. Um drei Uhr nachmittags legte die Polizeibarkasse neben dem Fallreep des Schiffes an, und Wade kletterte an Bord. Ein dunkelhäutiger Schiffsoffizier, vermutlich ein Südamerikaner, nahm ihn in Empfang. »Captain Aikness ist an Land«, sagte er. »Ich bin der Zweite Offizier.«
Wade zeigte ihm seinen Ausweis und wurde in eine kleine, erstaunlich gut möblierte Salonkabine geführt. Die Wände waren mit Mahagoni getäfelt, es gab eine ledergepolsterte Sitzgruppe und an der Schmalseite des Raumes sogar einen kleinen offenen Kamin. »Das ist die Offiziersmesse«, erklärte der Zweite. »Wir haben Glück, daß unser Reeder seine Offiziere wie menschliche Wesen behandelt. Wir wissen das zu schätzen. Nehmen Sie Platz, Inspektor.« Wade setzte sich auf einen der ebenfalls ledergepolsterten Stühle an dem langen Mahagonitisch. »Captain Aikness hat gestern abend etwas recht Unangenehmes erlebt, glaube ich«, fuhr der Zweite fort. »Eine Frau hat ihn angegriffen, und heute war die Verhandlung vor dem Polizeigericht.« Die dunklen Augen des Offiziers sahen Wade sehr eindringlich an. »Ich hoffe, man hat sie nicht eingesperrt. Captain Aikness war deshalb sehr beunruhigt.« »Man konnte sie nicht einsperren, weil sie nicht zur Verhandlung erschienen ist«, antwortete Wade. »Sie hat die Kaution verfallen lassen.« Der Offizier zog die Brauen hoch. »Tatsächlich? Das freut mich aber. Ich werde es gleich dem Captain erzählen, wenn er zurückkommt.«
Da es keinen Sinn hatte zu warten, verabschiedete sich Wade und kehrte an Bord der wartenden Polizeibarkasse zurück. »Fahren Sie um den Bug des Schiffes herum«, wies er den Steuermann an. Das kleine Boot legte ab, wendete dicht vor dem Bug der »Seal of Troy« und fuhr — diesmal an Steuerbord - die ganze Länge des Schiffes ab.
Wade wollte durch dieses Manöver die Barkasse nur in ruhigeres Fahrwasser bringen und zwei Leichtern ausweichen, die eben an Backbord des Trampschiffes längsseits gingen. Gedankenlos glitt sein Blick am Rumpf der »Seal of Troy« entlang. In der Nähe des Hecks sah er drei große rechteckige Bullaugen. Ob diese Kabinen wohl ebenso luxuriös ausgestattet waren wie die Offiziersmesse? Die Bullaugen standen offen, und aus einem wehte ein kurzer blauer Vorhang heraus. Er war es, der Wades Aufmerksamkeit auf das »Fenster« lenkte. Die Barkasse war jetzt mit dem mittleren Bullauge auf gleicher Höhe, und plötzlich entdeckte Wade in der Öffnung das Gesicht eines Mannes - nur eine Sekunde lang - ein braunes, runzliges Gesicht und einen glänzenden kahlen Kopf. Der Mann wich sofort wieder zurück, aber nicht schnell genug. Es war der geheimnisvolle »Mr. Brown«, der Lila Smith einmal im Jahr in ein vornehmes Restaurant zum Essen ausführte.
6
Für Wade existierte nicht einmal mehr der Schatten eines Zweifels, daß es sich um denselben Mann handelte. Und ganz bestimmt war er Captain Aikness. Schon wollte er Anweisung geben, mit der Barkasse wieder das Fallreep anzusteuern, doch dann überlegte er es sich anders. Wenn er noch einmal an Bord ging, würde man ihm wieder nur vorlügen, der Captain sei an Land. Wade war nicht berechtigt, das Schiff zu durchsuchen, und er hatte auch keinen Grund, sich einen Durchsuchungsbefehl zu besorgen. Wußte der Mann, daß er erkannt worden war? Doch woher sollte er es wissen? Sie waren sich bestimmt noch nie begegnet, es sei denn... Was für eine Verbindung gab es zwischen Captain Aikness und dem »Mekka«? Galt Mutter Oaks' und des Captains gemeinsames Interesse nur dem Wohlergehen von Lila Smith? Mutter Oaks hatte behauptet, sie wisse nicht, wer »Mr. Brown« sei. Aber sie war die Königin aller Lügnerinnen. »Fahren Sie eine halbe Meile stromabwärts, und wenden Sie dann wieder«, instruierte Wade seinen Steuermann, einen Sergeant. »Sobald wir Bord an Bord sind, halten Sie sich so nah wie möglich am Ufer, damit wir ganz dicht an der ›Seal of Troy‹ vorbeifahren können.«
Die beiden Leichter hatten inzwischen längsseits festgemacht. Achtern auf der Brücke stand in der Nähe der Ladeluken ein Schiffsoffizier. Zwei oder drei Männer, die wie Stauer aussahen, hielten sich neben den Luken auf. Weder der südamerikanische Offizier noch der Mann, den Wade nur so flüchtig gesehen hatte, ließen sich blicken.
Langsam fuhr die
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