083 - Das Gasthaus an der Themse
Barkasse an dem großen Trampschiff vorbei, sie mußte gegen eine starke Strömung ankämpfen. Sobald sie die »Seal of Troy« hinter sich gelassen hatte, wendete sie und fuhr quer über den Fluß. Wade nahm sein Fernglas und beobachtete aufmerksam die Bullaugen. Einmal schien ihm, als sei an einer der rechteckigen Öffnungen ein Gesicht aufgetaucht und wieder verschwunden. Aber das konnte auch Einbildung gewesen sein. Er legte das Glas aus der Hand und stand auf. »Zu den Favy Stairs, Sergeant«, sagte er. Die Barkasse krängte, als der Steuermann das Ruder herumlegte, um auf Gegenkurs zu gehen, und das Heck in den Sog der Strömung geriet. Plopp!
Etwas prallte gegen die Wand der kleinen Kabine mitschiffs, Glas splitterte, und ein Teil des hölzernen Fensterkreuzes zerbarst.
»Um Gottes willen!« schrie der Steuermann. »Fahren Sie weiter und achten Sie nicht darauf«, sagte Wade gelassen. »Was war das, Inspektor? Sind Sie verletzt?« Wade hatte sich auf die Knie geworfen. »Das war nur eine verrückte Möwe, mein Junge. Stellen Sie keine so verdammt albernen Fragen, ja! Ich bin jedenfalls tot. Warten Sie bis zur Leichenschau, bevor Sie wieder den Mund aufmachen.« Diese Unverfrorenheit! Bei hellem Tageslicht auf ihn zu schießen. Der Schuß war von der »Seal of Troy« gekommen, daran gab es keinen Zweifel. Bei dem Krach, den die Ausleger machten, war er bestimmt nicht zu hören gewesen, auch wenn der Schütze keinen Schalldämpfer benutzt hatte. Dennoch — eine unglaubliche Unverschämtheit! Wade empfand rückhaltlose Bewunderung für den Täter - im Augenblick. Die Barkasse kam zu einer schwimmenden Anlegestelle und machte dort fest.
»Helfen Sie mir an Land, ich werde mich schwer auf Sie stützen«, sagte Wade zum Steuermann. »Das ist natürlich reine Propaganda.«
Es war ein perfektes Schauspiel, als der unverkennbar erheblich verletzte Inspektor von der Barkasse heruntergehoben und über das Floß getragen wurde. Wade schätzte, daß die Kugel ihn höchstens um zwei Zentimeter verfehlt hatte und zwar nur deshalb, weil das Boot sich im selben Moment auf die Seite legte. Eine halbe Stunde später trafen drei hohe Beamte von Scotland Yard ein, sahen sich den Schaden am Boot an und verschwanden dann in dem Häuschen, in dem sich Wade versteckt hielt. »Es könnte eine Flußratte gewesen sein, die auf der Lauer lag, um Ihnen irgend etwas heimzuzahlen, Wade. Es gibt am Ufer Dutzende von Verstecken, aus denen man ungesehen schießen kann. Und, weiß der Himmel, beliebt sind Sie ja nicht gerade.« »Flußratten laufen nicht mit Gewehren herum, sie fallen zu sehr auf«, antwortete Wade. Der Chef nickte. »Wenn wir das Schiff durchsuchen lassen, finden wir bestimmt nichts. Sie rechnen garantiert damit und haben alle hiebund stichfeste Alibis. Was schlagen Sie vor?« »Am besten schicken wir ein Polizeiboot mit zwei Beamten stromaufwärts, die überall anfragen, ob jemand einen Gewehrschuß gehört oder gesehen hat, daß aus einem Gewehr geschossen wurde«, sagte Wade. »Sie sollen natürlich auch auf der ›Seal of Troy‹ nachfragen. Sie dürfen kein Schiff, kein Boot, keinen Landeplatz auslassen. Vielleicht sollten sie auch so ganz nebenher erwähnen, daß ich schwer verletzt bin. Und es wäre sicher nicht schlecht, wenn man mir einen Verband anlegen und den Krankenwagen bestellen würde.« »Der Junge hat recht«, sagte Inspektor Elk. »Ich bringe Sie höchstpersönlich nach Hause und bleibe bei Ihnen, Wade. Ich bin eine der besten Krankenschwestern, die je Polizist wurde.« Bald darauf erlebte jener Teil der Bewohner von Wapping, der mit der Unterwelt sympathisierte, die Genugtuung, daß vor Inspektor Wades Haus ein Krankenwagen vorfuhr, eine Trage vorsichtig herausgehoben und ins Haus gebracht wurde. »Endlich hat es ihm jemand gegeben, verdient hätte er es längst«, erklärte begeistert ein Zuschauer. »Er wollte es ja nicht anders.« Auf der »Seal of Troy« wurde bis in die Nacht hinein gearbeitet. Große Seitenlampen an Backbord und Steuerbord erhellten das ganze Schiff, und von den Leichtem schwebten an dicken Stahltrossen die schweren Packkisten zu den Ladeluken hinauf. Als ein Stauer mit rußverschmiertem Gesicht über eine Jakobsleiter an Bord kletterte, beachtete ihn niemand. Nicht einmal der dunkelhäutige südamerikanische Offizier bemerkte ihn, der von der Brücke aus die Ladearbeiten leitete. Der Eindringling hielt sich im Schatten und war ein aufmerksamer Zuhörer, denn Hafenarbeiter
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