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083 - Das Gasthaus an der Themse

083 - Das Gasthaus an der Themse

Titel: 083 - Das Gasthaus an der Themse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wallace
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»Hatten Sie als Kind vielleicht mal Polypen?« hatte er ernsthaft zurückgefragt. »Nein? Nun, wahrscheinlich bin ich manchen Leuten so lästig, Prinzessin.« Er hielt inne und sah sie merkwürdig an. »Wie ist das, hatten Sie wieder einmal Ihr Erlebnis ‹?«
    Die Frage versetzte Lila in große Erregung. »Ich wünschte, Sie könnten vergessen, daß ich das je gesagt habe«, antwortete sie mit einem raschen, ängstlichen Blick zur Tür. »Es war albern von mir, und es war nicht die Wahrheit, Inspektor Wade. Ich wollte nur angeben . . .«
    »Sie können gar nicht lügen«, unterbrach er sie gelassen. »Sie versuchen es jetzt, aber Sie schaffen es nicht. Als Sie mir sagten: ›Glauben Sie nicht, daß es mir schlecht geht, manchmal erlebe ich etwas Wunderbares‹ - als Sie das sagten, haben Sie nicht gelogen.« Er hob herrisch die Hand. »Wir wollen nicht darüber reden. Wie geht es Ihnen jetzt?« Schwere Schritte näherten sich auf dem Flur, und Lila wich ein Stück von ihm zurück. Sie blickte, als Mutter Oaks mit finsterer Miene eintrat, an Wade vorbei. »Hallo, Inspektor Wade«, sagte Mutter Oaks. »Haben Sie nichts Besseres zu tun, als mit meinem Mädel hier zu klatschen?« Ihre Stimme klang unnatürlich hoch und zitterte vor Bösartigkeit. Kein Gesicht auf dieser Welt war ihr so verhaßt wie das von John Wade. Mit einer Handbewegung schickte sie Lila aus dem Zimmer und warf laut die Tür hinter ihr ins Schloß. »Schleichen sich hier ein und nehmen Kinder ins Kreuzverhör. Können Sie nicht wie ein anständiger Mensch an die Haustür klopfen?«
    »Sie haben doch keine«, antwortete er vorwurfsvoll. »Und warum so zornig, Kind? Ich kam mit den freundlichsten Absichten, um mich ein bißchen mit Golly zu unterhalten.« »Er ist auf dem Kai, und nennen Sie mich nicht ›Kind‹!« fauchte sie wütend.
    Inspektor Wade zuckte mit den Schultern. Es war eine Schwäche von ihm, die Leute mit Kosenamen anzureden. »Dann geh ich jetzt«, sagte er.
    Golly hatte ihn schon gesehen, das wußte Wade. Der kleine Mann hackte Holz. Als der Detektiv näher kam, legte er die Axt weg und blickte ihm mit schmerzlicher Miene entgegen. Sie wurde noch wehleidiger, als Wade in schleppendem Tonfall seine Frage stellte.
    »Whisky? Was habe ich denn mit Whisky zu tun? Ja, ich kenne Schnüffel. Ein gewöhnlicher Stranddieb, den ich in meinem Club nicht haben möchte. Ein verkommener Mensch mit verkommenen Freunden.« Er sprach sehr schnell. »In der Bibel steht: ›Wie du einen Vogel an seinem Gesang erkennst, erkennst du einen Mann an seinen Freunden ...« »Das glaube ich nicht«, entgegnete Inspektor Wade. »Haben Sie in letzter Zeit vielleicht etwas über die Gummimänner gehört?« Golly Oaks breitete mit einer Geste müder Duldsamkeit die Arme aus. »Ich weiß nicht mehr über sie als in den Zeitungen steht. Wozu haben wir die Polizei? Wir zahlen Steuern und ihre Gehälter, wir ernähren sie .. .« »Und gut genährt sind sie wirklich« sagte Wade mit einem Augenzwinkern. »Bei jedem Polizisten, den ich sehe, muß ich an Sie denken, Golly.« Aber Oaks ließ sich nicht ablenken. »Gummimänner! Einbrecher, Bankräuber! Woher sollte ich die wohl kennen? Bin ich etwa eine Bank? Bin ich ein Tresor. Schwimme ich in Millionen?«
    »Das kann ich nicht beantworten«, sagte der Inspektor und kam auf den gestohlenen Whisky zurück. Als Golly Oaks die Augen schloß und einen Hymnus auf die Rechtschaffenheit des »Mekka«-Clubs anstimmte, hörte Wade schweigend zu und sah den Sprecher unverwandt an; wenn eine Eule große blaue Augen hätte, könnte man sagen: mit einem geradezu eulenhaften Blick. »Zugabe!« rief er, als Oaks am Ende seiner Lobrede angelangt war. »Sie sollten im Parlament sitzen, Engelsgesicht. Du liebe Güte! Sie möchte ich über die Prohibition sprechen hören!« Wade verabschiedete sich mit einem Nicken und ging zu der Polizeibarkasse zurück, die dicht am Kai festgemacht hatte und deshalb vom Club aus nicht zu sehen war.

2
    Drei Nächte später...
    Die Barkasse tuckerte in der Nähe des diesseitigen Themseufers parallel zum Embankment stromaufwärts. Es war eine sternklare Nacht, und noch ahnte man nichts von dem Nebel, der London am nächsten Abend zudecken und einhüllen würde. Inspektor Wade hatte einen sehr unangenehmen Abend hinter sich. Nachdem er am Nachmittag eine Leiche aus dem Fluß gefischt hatte, mußte er stundenlang stinkende Flußschiffe durchsuchen. Den Vormittag hatte er auf dem Themse-Polizeigericht

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