083 - Der Mann aus der Retorte
Mädchen. Hastig trat ich näher und hob die Fackel. Die Hände des Mädchens und die Füße waren gefesselt. Das Mädchen schien bewußtlos zu sein. Zwischen ihren festen Brüsten und auf den Oberschenkeln sah ich einige tiefe Wunden. Für mich gab es keinen Zweifel: das Mädchen war Hana Svagerka.
„Führ den Dicken her, Franca!"
Franca stieß den Diener vor sich her.
„Kennst du das Mädchen?" fragte ich.
Der Dicke schüttelte den Kopf. „Lüge nicht!" herrschte ich ihn an. Ich packte ihn an der Brust, hob ihn hoch und hielt ihm die Fackel vor das Gesicht.
„Ich weiß es wirklich nicht", wimmerte er weinerlich. „Ihr müßt mir glauben, Herr."
Ich gab ihm einen Stoß. Er fiel gegen eine Wand.
„Feßle ihn, Franca!"
Ich zog den Dolch hervor und schnitt die Fesseln des Mädchens durch. Die Brust des Mädchens hob sich regelmäßig. Nach kurzem Suchen hatte ich ein Kleid gefunden. Franca hatte den Dicken fachmännisch verschnürt. Der Diener konnte sich nicht bewegen.
Ich zog dem Mädchen das Kleid an und trug es aus der Alchimistenküche.
„Was nun, Herr?" fragte Franca.
„Wir reiten in den Hradschin. Ich bin sehr gespannt, was Vierort sagen wird, wenn ich ihm das Mädchen zeige."
Wir traten vor das Haus. „Halte das Mädchen einen Augenblick, Franca! Ich steige auf, dann nehme ich sie…"
Ich hörte Hufgeklapper. Ein Pferd kam rasch näher. Der Reiter zügelte das Pferd. Ich ließ das Mädchen zu Boden fallen und griff nach meiner Pistole. Der Reiter war Gebhard Stampfer von Vierort. Sein hochmütiges Gesicht verzerrte sich wütend, als er mich erkannte. Sein Blick fiel auf das Mädchen.
Mit einem Ruck riß er das Pferd herum. Ich schoß, verfehlte ihn aber.
Vierort wußte, was die Stunde geschlagen hatte. Das Mädchen würde alles erzählen, und er war verloren. Der Kaiser würde ihn wahrscheinlich hinrichten lassen. Ihm blieb nur noch die Flucht. „Bring das Mädchen in die Burg, Franca!" sagte ich. „Ich folge Vierort."
Blitzschnell schwang ich mich auf mein Pferd, klopfte ihm auf die Kuppe und galoppierte Vierort nach. Sein Vorsprung war aber zu groß. Er bog in eine schmale Gasse ein. Als ich diese erreichte, war er nicht mehr zu sehen. Ich fragte eine alte Frau, ob sie Vierort gesehen hätte, doch sie starrte mich nur verständnislos aus; sie sprach nur Tschechisch.
Fluchend ritt ich weiter. Vierort blieb verschwunden. Ich überlegte, wohin er sich gewandt haben konnte. Plötzlich fiel es mir ein. Ich versetzte mich in seine Situation. Er war verloren, das stand fest. Wohin er auch flüchtete, er konnte nicht einfach verschwinden; dazu war er zu bekannt. Er wird sich an mir zu rächen versuchen, dachte ich. Und wie kann er das tun?
Der Golem! Das war die Antwort.
Ich trieb den Hengst wie verrückt an. Minuten später galoppierte er über die Karlsbrücke. Nach fünf Minuten hatte ich die Altstadt erreicht.
In der Breiten Gasse sprang ich vom Pferd. Vor dem Haus des Rabbis stand ein Fuchshengst. Sein Fell war klitschnaß. Es war Vierorts Pferd. Meine Vermutung war richtig gewesen.
Ich lud die Pistole nach und betrat das Haus des Rabbis. Kein Mensch kam mir entgegen. Unbehelligt erreichte ich den Gang, der zum Zimmer führte, in dem der Golem lag.
Da sah ich den Rabbi. Er lag auf dem Bauch. Vierort hatte ihn niedergeschlagen. Mit gezogener Pistole rannte ich weiter. Vor dem Raum, in dem der Golem lag, blieb ich stehen.
Vierort stand neben der Tür. Die Klammern waren von der Stirn des Golems entfernt worden. Deutlich war das Emeth zu lesen. Der Golem erwachte zum Leben.
Das Monster sprang ungelenk hoch. Ich hob die Pistole und wollte auf Vierort schießen, da stellte sich mir das Monster in den Weg. Unwillig ließ ich die Pistole sinken.
„Töte ihn!" schrie Vierort. „Töte sie alle! Hast du mich verstanden? Du sollst alle töten. Verwüste die Stadt! Laß nicht einen Stein auf dem anderen! Vernichte alles! Töte!"
Der Golem mußte sich bücken. Die Tür war zu niedrig für seinen gewaltigen Körper.
Ich sprang zwei Schritte zurück. Das Monster sah bei Tageslicht noch grauenvoller aus. Ein spitzer Schädel, starre Augen, ein torkelnder Gang.
Das Monster war mit Kugeln nicht zu töten. Ich mußte unbedingt das E auslöschen.
Ich hob die Pistole, zielte ganz genau und drückte ab. Es war ein vortrefflicher Schuß gewesen. Ein Teil des E war verschwunden. Ich schoß noch mal. Wieder riß ich ein Stück Haut mit meinem Schuß ab. Nur noch das halbe E war zu sehen.
Da
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