083 - Morkans Horrorwürmer
niedergetrampelten Stände waren wieder
aufgestellt, die vernichteten Waren wurden zusammengekehrt und auf einen
Karren, vor den ein Maultier gespannt war, verladen. Die Polizei verhörte noch
einige Anwesende und kümmerte sich besonders um die Habe des alten Indianers,
der bei dem schrecklichen Unfall ums Leben gekommen war.
Die
Decke und die noch erhaltenen Gegenstände wurden eingesammelt und mitgenommen.
Die Leiche des Mannes war inzwischen abtransportiert worden. Fermon blinzelte.
Das Sonnenlicht, das durch die engmaschigen Gardinen fiel, war zu grell. Er
empfand es nicht nur als unangenehm, sondern geradezu als lästig und
schmerzhaft. Er musste die Fensterläden schließen. Fermon wandte den Kopf ab,
als er die Fenster öffnete und dann nach außen griff, um die Klappläden
heranzuziehen. Es knirschte in den rostigen Scharnieren. Der Mann atmete auf,
als die Helligkeit beseitigt war. In der Kühle und im Schatten fühlte er sich
gleich viel wohler. Aber dieses Gefühl hielt nur kurze Zeit an. Unruhe und eine
unerklärliche Getriebenheit ergriffen gleich darauf wieder Besitz von ihm. Er
griff nach einer Zigarettenschachtel, die aufgerissen auf dem niedrigen Tisch
mitten im Zimmer lag.
Fermon
zündete sich das Stäbchen an. Aber er zog nur einmal daran. Die Zigarette
schmeckte ihm nicht. Er fand sie widerlich. Ich werde krank,... hämmerte es hinter der Stirn des Psychiaters. Meine Nerven sind zerrüttet. Anzeichen einer beginnenden Geisteskrankheit… Erhatte in seinem Leben genügend Menschen untersucht und behandelt, die
verrückt waren. Er kannte die Symptome. Jemand, der jedoch verrückt wurde,
erkannte das meist nicht. Mit einem Mal war der Wahnsinn da. Bei ihm jedoch
ging ein Angstzustand voraus, den er klar erkannte. Es war nicht die Angst vor einer Gefahr, nicht Angst vor Dunkelheit oder
Menschen... es war etwas Unbestimmtes, das sich in ihm regte, für das er keinen
Grund kannte und das er auch nicht beschreiben konnte. Er fuhr sich mit
zitternder Hand durch das blauschwarze, dichtwachsende Haar und versuchte,
seine Gedanken zu ordnen. Wie war er hierher gekommen? Diese Frage stand ganz
oben. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann und weshalb er in seiner
Klinik aufgebrochen war.
Er
leitete im größten Hospital von Mexico City die psychiatrische Abteilung, war
als guter Arzt und verlässlicher Kollege bekannt. Aber dann hatte eine Art
Fernweh ihn gepackt und ihn gezwungen, seine Wohnung in Mexico City zu
verlassen. Er hatte nicht mal einen Koffer mitgenommen. Nur seine Brieftasche
mit den Papieren und viel Geld, um alles bar begleichen zu können. Schecks und
Kreditkarten waren ihm diesmal seltsamerweise als verräterisch vorgekommen.
Wenn er sie benutzte, musste er damit rechnen, dass man seine Spur sehr schnell
zurückverfolgen konnte. Das also wollte er vermeiden. Aber warum? Er wusste es
nicht...
Enrico
Fermon löste sich vollends vom Fenster. Im Zimmer herrschte jetzt ein
angenehmes, schattiges Halbdunkel. Seltsam, dass er sich in dieser Atmosphäre
gleich wohler fühlte. Fast schien es, als fürchte er die Sonne und die
Trockenheit. Es zog ihn in Kühle und Schatten. Und Mexico City war um diese
Jahreszeit die Hölle. Heiß trocken und staubig... Seltsam, dass ihn dies früher
niemals in diesem Maß gestört hatte...
Dr.
Enrico Fermon war ein schlanker Mann mit einem ovalen Gesicht und dunklen,
klugen Augen. Er hatte lange, seidige Wimpern, um die manche Frau ihn beneidet
hätte. Links an der Wand stand ein flacher, sehr schmaler Schrank mit mehreren
Schubladen. Darüber hing ein großer Spiegel. Er war in dunkles Holz gefasst.
Fermon blieb stehen, um einen Blick in den Spiegel zu werfen. Im Halbdunkel
nahm er die Umrisse seines Gesichts und seines Körpers nur undeutlich wahr. Und
dann stutzte er. War das überhaupt ein Gesicht, das ihm aus dem schummrigen
Spiegelhintergrund entgegenstarrte?
War
das - sein Körper?
Enrico
Fermon musste zweimal hinsehen. Er ging näher an den Spiegel heran. Er sah keinen Menschen mehr darin. Der
Spiegel schien das Tor in eine andere, schreckliche Welt oder unwirkliche
Alptraumdimension zu sein! Vor ihm stand, aufrecht aus dem unteren Spiegelrand
wachsend, ein pralles, feuchtes Wesen, ein riesiger, wurmförmiger Körper ohne
erkennbaren Kopf, ohne Maul und Augen... ein Schlauch, der pulsierte, der
lebte! Enrico Fermon schrie markerschütternd auf.
●
Der
Schrei hallte in seinen Ohren, durch das düstere Zimmer und war auch
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