084 - Stoßtrupp ins Niemandsland
Hütte geblieben, hatten die primitive Behausung nur dann verlassen, wenn es darum gegangen war, Beute aus einer der Fallen zu holen oder eine Notdurft zu verrichten. Das Feuer brannte immer noch, ohne dass jemand Brennholz nachgelegt hatte.
Pieroo, der aus Protest nicht wieder in die Hütte zurückgekehrt war, saß im Fond des Dingi. Er verstand seine Freunde nicht mehr, wusste beim besten Willen nicht, was sie bewegte.
Dass sie es vorgezogen hatten, die Nacht mit einem festen Dach über dem Kopf zu verbringen anstatt im Biwak, hatte er noch nachvollziehen können, obwohl für ihn, den Nomaden, auch das ziemlich unverständlich war. Als Aiko und Honeybutt es am Morgen jedoch erneut abgelehnt hatten, die Reise fortzusetzen, hatte Pieroo sich ernste Sorgen um seine Freunde gemacht.
Was bezweckten sie damit?
Was fanden sie nur dabei, im miefigen Halbdunkel der Hütte zu sitzen, zusammen mit dem Doc und Majela und dem seltsamen Alten, der nur ein Auge besaß?
Anfangs hatten sie noch am Feuer gesessen und mit den anderen gesprochen. Im Lauf des Tages jedoch waren die Gespräche abgeebbt, und sie hatten sich nach und nach ins Innere der Hütte zurückgezogen. Jetzt war kein Laut mehr zu hören, und nur ab und zu ließ sich jemand blicken. Eine gespenstische Stille lag über dem kleinen Lager; von Pieroo nahm niemand mehr Notiz.
Ignorierten sie ihn absichtlich, um ihn zu strafen? Hatten sie vor, ihn auszuschließen?
Dachten sie sich im Geheimen einen Plan aus, wie sie ihn zurücklassen konnten, um seinen Platz im Dingi mit Jed und Majela zu besetzen?
Energisch schüttelte er den Kopf, wischte sich den kalten Schweiß ab, der sich auf seiner Stirn gebildet hatte.
So etwas durfte er nicht einmal denken. Aiko und Honeybutt mochten sich seltsam benehmen, aber sie waren seine Freunde.
Sie hatten zusammen viel durchgemacht, und egal, wie eigenartig ihr Benehmen sein mochte, sie würden ihn niemals im Stich lassen.
Oder…?
Gegen Abend, als die Sonne bereits dem Horizont entgegen sank, kam Honeybutt aus der Hütte. Sie war barfuß und ihr Haar war wirr und in Unordnung. Ihr Gang war nicht aufrecht wie sonst, sondern gebückt und müde.
»Is alles in Ordnung?«, rief Pieroo ihr besorgt zu.
Sie blickte in seine Richtung, und für einen Moment schien sich ihr Blick zu klären.
»Pieroo«, sagte sie mit einer Mischung aus Erstaunen und Gleichmut. Langsam kam sie auf ihn zu. »Wie geht es dir?«, wollte sie wissen. »Hast du noch immer Fieber?«
»Was interessiert dich das?«, fragte er mürrisch zurück. »Ihr habt euch den ganzen Tag nich um mich gekümmert.«
»Den ganzen Tag?« Sie blickte ihn fragend an. »Wovon sprichst du?«
»Ich red davon, dass wir hier festsitzen. Schon den ganzen verdammten Tag.«
»Tatsächlich?«
»Ja, verdammt. Ich will endlich von hier weg. Irgendwas stimmt hier nich, das kann ich fühlen.«
»Vielleicht morgen«, sagte Honeybutt gleichmütig.
»Das habt ihr auch gestern schon gesagt.«
»Uns inn. Das bildest du dir nur ein. Wahrscheinlich kommt es vom Fieber. Ich werde Aiko bitten, dir noch etwas Medizin zu geben.«
Damit wandte sie sich um und ging - doch ihr entschlossener Schritt verlangsamte sich schon nach wenigen Augenblicken.
Anstatt zurück zur Hütte zu gehen, weckte plötzlich etwas anderes ihre Aufmerksamkeit.
Ein kleines fellbesetztes Tier wetzte über den sandigen Boden und kreuzte ihren Weg. Sofort nahm Honeybutt die Verfolgung auf. Mit ausgreifenden Schritten setzte sie dem Tier hinterher, jagte es quer durch das Lager und stellte es schließlich am Eingang der Hütte. Sie warf sich zu Boden, um es zu fangen, und stieß einen gellenden Triumphschrei aus, als sie es zu fassen bekam.
Mit beiden Händen hielt sie die zitternde Beute fest, betrachtete sie mit leuchtenden Augen.
Dann biss sie zu.
Dem hartgesottenen Pieroo wurde schlecht, als er sah, wie Honeybutt dem lebenden Tier den Kopf abbiss und darauf herumkaute, das Gesicht blutverschmiert. Den Kadaver in der Hand, den Blick starr geradeaus gerichtet betrat sie schließlich die Hütte und kam nicht zurück.
Auch Aiko kam nicht - fraglos hatte Honeybutt vergessen, was sie ihm hatte sagen wollen.
Pieroo saß allein in der dunklen Fahrgastzelle des Dingi und spürte, wie Verzweiflung nach ihm griff.
Etwas an diesem Ort stimmte nicht, das war nicht mehr zu leugnen.
Das Problem war, dass es außer ihm niemand zu merken schien.
***
Aiko ging es bestens.
Er hatte tief geschlafen und fühlte sich frisch und
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