0840 - Das Drachenmädchen
sehen?
Nein, das akzeptierte sie nicht als einen Zufall. Da mußten andere, rätselhafte Dinge mit im Spiel gewesen sein. Aber Shao akzeptierte das Gesicht durchaus als eine Botschaft, und sie fühlte sich plötzlich am Anfang einer langen Spur.
Hinter ihr entstand ein Geräusch, als Suko sich im Bett drehte. Er murmelte etwas, er schlug mit der flachen Hand auf, und dann hörte Shao, wie er fragend ihren Namen aussprach.
»Ich bin hier«, murmelte sie.
»Wo… was?«
»Am Fenster.«
Suko setzte sich hin. Zwar war er aus dem tiefen Schlaf gerissen worden, doch er war auf einmal hellwach. Er schleuderte seine Bettdecke zurück und stand auf. Keine Sekunde länger wäre er noch liegen geblieben. Für ihn war Shao nicht grundlos aufgestanden.
Suko trug nur seine kurze Hose, als er sich seiner Partnerin näherte, neben ihr stehenblieb und seine Hand auf Shaos Schulter legte. Die Chinesin lehnte sich an ihn, weil sie die Wärme des Körpers spüren wollten, das brauchte sie in diesem Augenblick einfach.
Suko rieb noch über seine Augen, bevor er dort hinschaute, was Shao so faszinierte.
»Das ist der Grund«, flüsterte sie.
»Ein Gesicht…?«
»Ja.«
»Wieso?«
»Ich weiß es nicht.«
»Aber du bist aufgestanden und hast nachgeschaut. Was hat dich dazu getrieben?«
»Das kann ich dir nicht sagen, Suko. Ich wurde plötzlich wach. Es war ein Gefühl, das mich aus dem Schlaf riß. Es hörte sich ungewöhnlich an, aber es stimmt.«
»Okay, das muß wohl so sein.« In den nächsten Sekunden schwieg Suko, weil er sich voll und ganz auf das Mädchengesicht konzentrierte. »Es ist nicht das Gesicht einer Einheimischen, so sieht jemand aus, dessen anderer Elternteil aus Europa oder den Staaten stammt.«
»So sehe ich das auch.«
»Mehr nicht?«
»Nein, Suko. Ich kann mir das Gesicht in der Wand nicht erklären. Wir beide wissen, daß in wohl jedem Haus hier der Weg für die Geister freigelassen wird, aber das plötzliche Erscheinen des Gesichts wundert mich schon, wirklich.«
»Du hast keine Erklärung gefunden?«
»Überhaupt keine.«
»Eine Botschaft könnte es sein.«
»Richtig.« Shao nickte. »Daran habe ich auch schon gedacht. Fragt sich nur, für wen die Botschaft bestimmt ist.«
»Für uns?«
Shao schwieg.
»Habe ich unrecht?«
»Ich weiß es nicht, Suko. Wir wissen gar nichts.«
»Doch.«
»Was denn?«
»Muß man uns beiden denn sagen, daß es Geister gibt? Ich denke nicht. Wir wissen Bescheid über andere Dimensionen und Welten. Ich gehe erst mal davon aus, daß dieses Gesicht aus einer anderen Dimension erschienen ist. Möglicherweise ist es ein stummer Schrei nach Hilfe, aber das müssen wir herausfinden.«
»Mitten in der Nacht?«
Suko hob die Schultern. »Ich denke nicht, daß wir in dieses Haus hineinkommen. Es ist kein Hotel. Menschen wohnen dort wohl auch nicht. Ich glaube, daß es ausschließlich ein Bürohochhaus ist, aber so genau habe ich mich darum nicht gekümmert und…«
»Es bewegt sich!« flüsterte Shao, die sich ganz und gar auf das Gesicht konzentriert hatte. »Oben an der Stirn und noch in den Haaren ist etwas erschienen.«
Auch Suko sah hin, und er entdeckte, ebenso wie Shao, den roten, langen Wurm, der sich aus den dunklen Haaren hervorschlängelte und eine Reise über das Gesicht begann, wobei er an der Stirn anfing. Da sie so bleich aussah, zeichnete sich dieser dicke, knallrote Wurm besonders stark ab. Es war aber kein Wurm, denn beide schauten fasziniert zu, wie dieses seltsame Tier über das Gesicht krabbelte, sich in Höhe der Nasenspitze drehte und Kurs auf die linke Wange nahm. Nun zeichnete es sich noch deutlicher ab, denn das vordere Ende war zu einer Schnauze geformt, die Ähnlichkeit mit dem Maul eines Krokodils oder Drachen besaß.
Beide Kieferhälften klappten auf. Während dieser Bewegung verwandelte sich das schlangenhafte Tier mit der Krokodilsschnauze weiter. Plötzlich erschienen zwei runde Augen auf dem oberen Wulst des Kopfes, die kalt wie Eis blickten. Zwei dünne Hörner wuchsen ebenfalls hervor. Sie erinnerten an rote Mikadostäbchen, und aus dem offenen Maul schlug eine lange Zunge hervor, die Ähnlichkeit mit einer Peitsche hatte.
Im Gesicht rührte sich nichts. Als die Schnauze in Höhe des Ohrs im dort dichten Haar verschwunden war, da ringelte sich der übrige Körper noch über das Gesicht hinweg, wobei sein Ende nicht mehr zu sehen war, denn es war an der anderen Seite verschwunden.
Shao schüttelte den Kopf. »Ich begreife
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