0840 - Das Drachenmädchen
Göttern einen Pakt geschlossen und verloren. Mit den Krallen schlug es gegen die Schäfte. Sie knickten ab, aber die vordere Hälfte blieb im Körper stecken.
Niemand kam Li Warren zu Hilfe. Die Mächtigen hielten sich im Hintergrund auf, als wüßten sie genau, daß ihre Dienerin verloren hatte. Noch stand sie auf den Beinen, mit den Armen um sich schlagend. Rotgrüner Schleim drang aus den Mundwinkeln, und Shao zielte zum dritten Mal, diesmal auf den Kopf.
Der Pfeil flog.
Es hätte der Wilhelm-Tell-Schuß werden können, aber Shao hatte bewußt um eine Idee tiefer gehalten und den Pfeil genau in die Stirn geschossen. Dort steckte er fest wie ein starres Horn. Er war tief in den Drachenschädel eingedrungen.
Brauchte sie noch einen vierten Pfeil?
Nein. Der letzte Treffer hatte auch die Kreatur zerstört, obwohl sie es schaffte, sich noch für einen Moment auf den Beinen zu halten.
Dann aber brach sie zusammen.
Es sah so aus, als wäre sie eine hölzerne Figur, der nacheinander die Glieder abgesägt wurden. Sie schaukelte dabei noch zur Seite. Für Shao sah es aus, als wollte sich die Kreatur im letzten Augenblick vor ihr verbeugen, dann aber erreichte sie den Boden, blieb liegen und rührte sich nicht mehr.
Es war vorbei.
Shao ging zu ihr.
Es war kein Leben mehr in dieser Kreatur. Sie würde in dieser Welt bleiben und irgendwann verfaulen.
»Geh jetzt…«
Shao hörte noch einmal die Stimme der Sonnengöttin, schaute in die Höhe und dann auf die Maske und ihre schwarze Lederkleidung. Sie nahm beides mit. Als sie sich wieder aufrichtete, entstand vor ihr ein grünliches Flimmern.
Sie kannte es vom Hinweg.
Sie lief, dann rannte sie hindurch - und fiel in die ausgestreckten Arme ihres Freundes Suko.
Die normale Welt hatte sie wieder.
***
Das Haus stand noch, das Licht brannte, die Elektronik funktionierte wieder, und nur die drei Leichen im Büro zeugten davon, was hier einmal geschehen war.
Auf dem Weg nach unten erfuhr Suko, daß Madame Chu ihren heldenhaften Einsatz mit dem Leben hatte bezahlen müssen. Beide waren sie sehr traurig darüber. Shao war zudem der Meinung, daß sie Madame Chu indirekt ihr Leben verdankte, denn wäre sie nicht zuerst gestorben, hätte sich Li Warren mit ihr beschäftigt.
In der Halle wurden sie von den Männern des Wachpersonals angeschaut wie zwei Leichen, die es geschafft hatten, ihre Gräber zu verlassen. Man faßte sie sogar an, um sich von ihrer Echtheit zu überzeugen. Und von den Spalten und Rissen im Fußboden war nichts mehr zu sehen. Eine andere Macht oder Kraft hatte das Haus wieder zusammengeschoben. Shao glaubte, daß die Sonnengöttin letztendlich ihre Hand im Spiel gehabt hatte.
Beide verließen das Haus, setzten sich auf die breite Treppe und lehnten sich gegeneinander.
»Ich freue mich«, sagte Shao.
»Worauf?«
»Auf London.«
»Da ist das Wetter mies, denke ich.«
»Trotzdem, ich liebe schlechtes Wetter.«
Suko lachte. »Und was liebst du noch?«
»Dich.«
Er küßte sie, und es war ihnen beiden egal, wie viele Menschen dabei vom Gehsteig zuschauten.
Die Polizei war alarmiert worden. Als Suko und Shao die Sirenen hörten, lösten sie sich voneinander. Beide standen auf, blieben aber auf der Treppe Hand in Hand stehen.
»Weißt du, Suko, was ich noch liebe?« fragte Shao leise, während sie den Himmel über Hongkong betrachtete.
»Nein, wie sollte ich?«
Sie lachte etwas verschämt. »Wer so viel durchgemacht hat wie ich, der freut sich so sehr auf die Zukunft, daß er sie sogar liebt. Kannst du das verstehen?«
Sie lachte laut auf. »Dann kann uns beiden ja nichts passieren.« Sie stieß die geballte Hand in die Luft. »Auf uns und auf die Zukunft…«
ENDE
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