0840 - Siegel der Rache
ihm greifen wollten, zur Seite schleuderte.
Die Augen des Burschen irrten hin und her, suchten einen Ausweg, und sein Blick traf den des Parapsychologen. Einen Atemzug lang sahen sie sich an. Dann wirbelte der Mann herum, machte sich mit ein paar gezielten Schlägen und Tritten Platz - und verschwand in einem Nebengang.
Zamorra begann zu laufen.
Zufall? Sicher, doch das interessierte ihn nicht. Das dort war der Kerl, der ihn zum Buch führen konnte. Ganz sicher.
Denn das Gesicht hatte er bereits einmal gesehen. Im Château Montagne -als VVoleurs auf dem Rückzug waren. Die nächsten Schreie, die er zu hören bekam, galten ihm, denn ohne es zu bemerken, hatte Zamorra die Walther P99 gezogen.
Die Menschen bildeten eine Gasse, als er auf sie zu hetzte. Einem Irren mit einer Schusswaffe wollte niemand im Weg stehen…
***
Leben, Helligkeit, Stimmen.
All das mied Rat für gewöhnlich, erst recht dann, wenn Carl ihm seinen so genannten Freigang bewilligte. Je weniger Menschen Rat zu Gesicht bekamen, je kleiner war die Gefahr, dass die ganze Sache auffliegen konnte.
Nun jedoch hetzte Rat auf die zunehmende Helligkeit zu. Dorthin, wo Leben auf ihn warten musste. Er sah keine andere Möglichkeit. Poul war der brutalste Mensch, den er je kennen gelernt hatte. Mischa und Rat hätten im Ernstfall auch nicht davor zurückgescheut, einen Menschen zu töten. Mehr noch - sie beide hatten das in ihren Vergangenheiten bereits getan, denn sonst wären sie ja nie dort gelandet, wo sich die-V-Bande gefunden hatte.
Doch Poul war schlimmer als jedes Raubtier. Er tötete aus Freude… und er würde Rat nicht den Hauch einer Chance lassen, wenn er ihn erst erwischt hatte.
Rat kniff seine Augen zu schmalen Schlitzen zusammen, damit er das plötzlich so grelle Licht besser ertragen konnte. Er musste dorthin, wo viele Menschen waren. Vielleicht würde Poul es sich dann überlegen, vor so vielen Zeugen einen Mord zu begehen. Sicher war das jedoch auch nicht.
Mittlerweile hatten sich an der Station doch eine ganze Menge Menschen eingefunden. Rat rannte ohne abzubremsen mitten unter sie. Ein Blick über die Schulter zeigte ihm, dass Poul ihm dicht auf den Fersen war.
Der Gesichtsausdruck des großen Mannes zeigte Rat jedoch, wie unsicher Poul nun war. Es war nicht nur die Anstrengung des Laufens, die sein Gesicht hochrot anlaufen ließ. Es war der Mordwahn, den er nicht kontrollieren konnte; genau das war es gewesen, was Poul vor einigen Jahren das Urteil des Schöffengerichts eingebracht hatte: viermal lebenslange Haft und verschärfte Sicherheitsverwahrung. Nie wieder sollte dieser Mensch einen Fuß in die Freiheit setzen dürfen.
Doch nun war er hier, drängte sich durch die Wartenden hindurch. Rat begann fieberhaft zu überlegen. Welche Fluchtchance hatte er nun noch? Sollte er es wagen, in einen der Züge zu springen? Poul würde ihm folgen. Irgendwann musste Rat schließlich auch wieder aussteigen…
Nein, es gab für ihn nur noch eine winzige Überlebenschance. Doch dazu musste nun alles zusammenpassen. Rat bewegte sich direkt am Bahnsteigrand entlang, hielt den Kopf gesenkt, um keine Aufmerksamkeit zu erregen. Seine Ohren… sie verrieten ihm den exakten Zeitpunkt, den er abzupassen hatte. Ein wenig Glück und Zufall mussten jetzt einfach her.
Und er bekam, was er sich gewünscht hatte.
Von weitem hörte er den herannahenden Zug. Nein, das war kein regulärer U-Bahn-Zug, der hier abbremsen und stoppen würde, um Fahrgäste aufzunehmen. Wahrscheinlich eine Depotfahrt oder etwas in der Art. Rat verlangsamte seine Schritte, ließ Poul zu sich aufschließen, bis der nur noch zwei Meter hinter ihm war. Die Angst ließ Rat erschaudern, doch er riss sich zusammen.
Plötzlich ging alles blitzschnell.
Rat riss den Kopf hoch, wandte sich zu der jungen Frau, die direkt hinter ihm ging. Und sein Anblick verfehlte die erwünschte Wirkung nicht. Die Frau stieß einen Schrei des Entsetzens aus, als sie in das Gesicht des Jungen sah. Sie prallte zurück, behinderte so Poul, verwirrte ihn für einen Sekundenbruchteil.
Rat fasste den Arm der Frau, schleuderte sie von der Bahnsteigkante fort… der Zug, er kam… Rat griff mit beiden Händen nach Pouls Schultern, der in diesem Moment begriff, was nun geschehen musste. Doch er hatte keine Chance mehr, etwas dagegen zu unternehmen. In seinen Augen stand nur grenzenlose Verwunderung.
Rat fühlte den Luftdruck des nahenden Zugwagens, als er sich mit aller Kraft nach hinten fallen ließ, den
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