0849 - Schattengesicht
verflucht worden. Eigentlich überhaupt kein Grund, so etwas zu tun, eine lächerliche Sache. Wie oft versagte man als Mensch - aber eben nicht bei diesem Zacharias, der so etwas nicht hinnehmen wollte. Schließlich hatte er mich nicht grundlos kommen lassen. Er hatte mich gerufen, und noch immer schüttelte ich darüber den Kopf.
Daß eine Sagengestalt es schaffte, mit einem normalen Menschen zu telefonieren.
Aber kannte ich seine Kräfte?
Natürlich wollte ich den Fall nicht allein durchstehen. Gleich nebenan wohnte mein Freund und Kollege Suko zusammen mit seiner Partnerin Shao. Beide mußten Bescheid wissen, und vielleicht fanden sie auch eine Lösung für meine Probleme.
Ich schaute in den Himmel. Die Abenddämmerung ließ sich nicht aufhalten.
Wolken waren nicht zu sehen. Oder doch?
Da war eine Wolke, sogar sehr groß. Sie schwamm allein unter dem Blaugrau des Himmels, und sie erinnerte mich an einen Ball, der von den verschiedenen Seiten eingedrückt worden war.
Nein, das war kein Ball, das war etwas anderes. Das war ein - ich wollte es kaum glauben - ein Gesicht.
Das Gesicht des Zacharias!
Das Schattengesicht!
Nicht mehr so klar gezeichnet, sondern aufgedunsen. Häßlich und bösartig sah es in dieser Wolkenformation aus, und es grinste durch das Fenster genau in meine Wohnung hinein, als wollte es bei mir ein finsteres Versprechen hinterlassen.
Ich schnellte in die Höhe. Mit wenigen Schritten hatte ich das Fenster erreicht und riß es auf.
Genau in dem Augenblick verschwand das Gesicht!
***
Vor dem geöffneten Fenster blieb ich stehen und ließ mich von der kalten Nachtluft umschmeicheln.
Ich hatte den Eindruck, als bestünde sie aus zahlreichen Fingern mit kleinen Spitzen, die über meine Haut fuhren.
Es klingt banal, aber ich atmete nur tief durch. Das Gesicht tauchte nicht mehr auf. Es bestand nur in meiner Erinnerung, die ich hervorholte. Es war also keine Illusion, ich hatte es so gesehen, wenn auch deformiert. Zugleich übergroß, als hätte man ihm Schläge von verschiedenen Seiten versetzt.
An einer Halluzination litt ich bestimmt nicht, denn das Gesicht auf meiner Hand war ebenfalls echt gewesen, wie auch die Schatten, die sich daraus gebildet hatten.
Wie lange ich am Fenster gestanden und in die anbrechende Dunkelheit hinausgestarrt hatte, konnte ich selbst nicht sagen. Irgendwann drehte ich mich wieder um, denn mir fiel ein, daß ich mit jemandem über mein Problem sprechen mußte.
Bisher hatte ich alles für mich behalten. Dieser Fall war allein nicht zu lösen. Ich steckte einfach zu tief darin, ich war zu unmittelbar betroffen, ich brauchte eben einen Partner.
Als ich das Fenster schloß, »tickerten« bereits die Zahlen von Sukos Telefonnummer durch meinen Kopf. Ich wählte sie, bekam aber keine Verbindung. Es läutete einige Male durch, doch es wurde nicht abgehoben. Da Shao sich ebenfalls nicht meldete, ging ich davon aus, daß beide nicht anwesend waren.
Was tun?
Es gab eigentlich nur eines, was ich unternehmen konnte. Um diesen verfluchten Fall zu lösen, mußte ich mehr über diesen Herrn der Legenden herausfinden. Der Schäfer Calvin Crichton war zwar ein netter Mensch, aber Details wußte er auch nicht.
Wer dann?
Ein Lächeln umspielte meine Lippen, als ich an eine ältere Frau dachte, die nur von Jahren her alt war, ansonsten aber zu den junggebliebenen Menschen zählte. Sie hieß Sarah Goldwyn, wurde Horror-Oma genannt und besaß in ihrem Haus, das sie zusammen mit der Detektivin Jane Collins bewohnte, ein großes Archiv, in dem Dinge gespeichert waren, die mir schon oft auf die Sprünge geholfen hatten. Viel Literatur über Okkultismus, Mystik, fremde Religionen und Sagen. Lady Sarah hatte alles gesammelt und dank Janes Hilfe und einer EDV-Anlage alles gut im Griff.
Sie konnte ich immer anrufen. Am frühen Morgen ebenso wie am späten Abend, aber so spät war der Abend noch nicht. Bevor ich wählte, schaute ich auf meine linke Hand.
Da war nichts.
Kein Gesicht, keine Streifen, einfach gar nichts. Sie war völlig normal.
Das glaubt dir keiner, dachte ich und wählte trotzdem. Im Gegensatz zu Suko war Sarah Goldwyn anwesend. Schon nach dem dritten Läuten hörte ich ihre Stimme.
»John hier.«
Schweigen, dann, als wäre in der Nähe ein Tier, hörte ich das Knurren. Und danach sprach sie. »Aha«, sagte sie nur. »Aha, der Herr Geisterjäger meldet sich auch einmal. Wenn das mal kein Witz ist. Oder bist du es tatsächlich?«
»Ich bin es
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