0849 - Schattengesicht
an mein Kreuz. Auf einmal war alles anders geworden. Nicht daß ich vor meinem Kreuz Angst bekommen hätte, es war schließlich das Wertvollste, was ich überhaupt besaß, aber ich vertraute ihm in diesem Fall irgendwie nicht.
Wenn zwei Magien, die sich fremd gegenüberstanden, aufeinanderprallten, konnte das zu gefährlichen Energiestößen führen, die auch mich ins Chaos hineinziehen konnten.
Noch hing es verdeckt unter meiner Kleidung. Ich spürte seinen Druck auf der Brust auch nur, weil ich mich darauf konzentrierte. Es war an einer starken Kette befestigt, an der ich es hochzog.
Auch das Kreuz rutschte nach oben. Ich verfolgte seinen Weg bis hin zum Hals, dann lag es frei, und gleichzeitig hatte ich die linke Hand wieder zur Faust geschlossen, weil ich nicht wollte, daß mein Kreuz von dieser Kreatur gesehen wurde.
Ich streifte die Kette über den Kopf, wobei ich mir vorkam, als täte ich es zum erstenmal.
Es lag frei.
Auf meiner rechten Handfläche ließ ich es liegen. Konnte es größere Gegensätze geben, als das Gesicht auf der linken und das Kreuz auf der rechten Handfläche?
Ich glaubte nicht, wenigstens nicht in meinem Fall. Ich überlegte, ob ich bei meinem Versuch auf die Toilette verschwinden sollte, wo ich relativ ungestört war. Das wiederum ließ ich bleiben. Nein, ich würde es jetzt und hier machen. Ich wollte nicht gehen und dadurch möglicherweise die Aufmerksamkeit der anderen auf mich richten.
Noch bildete die linke Hand eine Faust. Ich hörte mich selbst atmen. Die anderen Stimmen in meiner Umgebung gab es nicht mehr.
Ich war allein.
Sehr langsam öffnete ich meine Faust. Es entstand eine erste Lücke. Aus dieser Lücke heraus hörte ich die Flüsterstimme des verdammten Zacharias.
»Ich bin nie allein, Sinclair!«
»Halt dein Maul!« keuchte ich und streckte die Finger aus.
Ich starrte in das Gesicht.
Das Gesicht starrte mich an - und dann das Kreuz!
***
Es war mir nicht leichtgefallen, aber ich hatte meinen Blick nicht von den Augen des Gesicht gelassen und wartete auf die Reaktion.
Erschrecken - tiefe Angst? Ich wußte nicht, was es bedeutete, als ich das Blitzen in den Augen bemerkte.
Genau in diesem Augenblick fiel das Kreuz auf meine Handfläche. Ich hielt mit der anderen Hand die Kette fest und schloß, kaum daß ich die Berührung des Kreuzes spürte, die Hand zur Faust.
Jetzt kam es darauf an.
Ich saß da wie auf einem Pulverfaß, das jeden Augenblick in die Luft fliegen konnte. Ob sich in meiner Faust etwas tat, sah ich nicht, aber mich hatte ein anderes Gefühl überkommen. Meine Hand schmierte von innen, das war, als hätte ich ein Stück Seife zerdrückt. Schmerzen empfand ich nicht.
Dafür spürte ich ein leichtes Kribbeln und hatte den Eindruck, als wäre meine gesamte Hand von einem dünnen Nebelschleier umweht.
Dieser Vorgang hielt auch nur für einen Moment an.
Ich hockte unbeweglich am Tisch und schaute auf meine Faust, aus der die dünne Kette hervorragte und sich auf den Tisch gelegt hatte. Ich war zu einem Menschen ohne Leben geworden, zu einer Statue, die nicht denken, reden oder handeln konnte. Ich traute mich auch nicht, die Faust zu öffnen, um nachzuschauen, ob der Fluch des Zacharias verschwunden war. Hätte ich ihn wirklich so einfach entfernen können? Ich glaubte nicht daran.
»Ist Ihnen nicht gut, Sir?«
Erschreckt drehte ich den Kopf. Eine Frau im hellblauen Kittel war neben mir stehengeblieben und schaute mich an. Sie hielt sich mit einer Hand am Griff eines fahrbaren Wagens fest, auf dem sich Geschirr in großen Mengen stapelte.
»Danke, es geht schon.«
»Sie sehen so blaß aus.«
»Das geht vorbei.«
»Gut, Sir. Ich hatte es nur gut gemeint, wirklich.« Sie ging und schob ihren Wagen weiter.
Ich saugte tief die Luft ein und wartete, bis die Frau weit genug entfernt war. Ewig und drei Tage konnte ich hier auch nicht mit geschlossener Hand sitzenbleiben, ich mußte einfach sehen, was geschehen war, ob das Kreuz tatsächlich den Fluch des Alten vertrieben hatte.
Zuerst war es der innerliche Ruck, den ich mir gab. Er wurde begleitet von einer Hitzewelle. Und wieder erinnerte ich mich an das seifige Gefühl, das mich überkommen hatte, als die Faust geschlossen gewesen war. Als hätte sich die Haut aufgelöst.
Jetzt!
Als ich die Faust öffnete, schloß ich genau in diesem Moment die Augen. Dann lag die Hand offen vor mir, ich blickte hin - und…
Sollte ich lachen, jubeln, vor Freude schreien oder auf dem Tisch tanzen?
Ich
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