085 - Professor Kulls Blutnixe
ziehen.
Meine Reisetasche blieb im Taxi. Dort, wohin ich unterwegs war, brauchte ich nichts mehr…
***
Zwei Tage vor meiner Entführung
Die Nacht war mild. Niemand hätte es für möglich gehalten, daß durch diese Nacht der Tod schlich. Der Tod in der Gestalt einer schattenlosen Frau. Sie war ein Schattenwesen, bleich und verführerisch schön. Ihre Gestalt war sylphidenhaft, ihr Gang graziös.
Sie hieß Melissa. Einfach nur Melissa. Ihren anderen Namen hatte sie vergessen. Obwohl sie jung aussah, war sie mehrere hundert Jahre alt, und sie lebte vom Blut der Menschen.
Sie hatte einen langen Weg hinter sich. Sie stammte aus Europa, hatte sehr lange in England gelebt - wenn man das, was sie tat, als »leben« bezeichnen konnte. Viele Landstriche hatte sie unsicher gemacht, und als man sie einmal beinahe gefangen und gepfählt hätte, verließ sie England noch in derselben Nacht. Auf einem alten Frachter reiste sie in die Neue Welt.
Sie zog sich in die Everglades zurück und lauerte einsamen Jägern oder Tierfotografen auf, und seit kurzem trieb sie sich auf den Bahamas herum. Die Inseln waren ihr neues Jagdrevier.
Viele junge, lebenslustige Menschen gab es hier. Aus aller Herren Länder kamen sie angereist, alle darauf aus, das Leben in vollen Zügen zu genießen und all die Dinge zu tun, zu denen sie das restliche Jahr keine Zeit hatten.
Romantische Lagerfeuer brannten in einsamen Buchten und versteckten Lagunen. Die Menschen liebten sich und hatten alle Zeit der Welt füreinander, ohne zu ahnen, daß sie von gierigen Augen beobachtet, von einer Bestie belauert wurden.
Die Vampirin faßte sich in Geduld und wartete auf ihre Chance. In manchen Nächten war sie erfolglos und mußte vor Tagesanbruch hungrig in ihr Versteck zurückkehren.
Heute wollte sie nicht leer ausgehen. Sie mußte Blut haben.
Lautlos schlich sie durch die Dunkelheit. Über der Lagune hing eine buttergelbe Mondsichel und zauberte silberne Reflexe auf das Wasser.
Melissa hörte das gurrende Kichern eines Mädchens und blieb sofort stehen. Gespannt und aufmerksam hob sie den Kopf.
Über ihr rauschten die Fächerblätter der Palmen. Sie huschte von Baum zu Baum, näherte sich auf leisen Sohlen dem Strand.
Wieder kicherte das Mädchen. »Laß das, Frank… Frank, hör auf… So benimm dich doch, Frank… Reiß dich zusammen, wenn jemand kommt… F-r-a-n-k…«
Melissa stand jetzt hinter einem Hibiskus-Strauch und schob die Blätter vorsichtig auseinander. Ihr bleiches Gesicht verzog sich zu einem kalten Grinsen.
Das Mädchen und ihr Freund lagen auf Strohmatten. Sie wehrte sich, aber es war ihr damit nicht besonders ernst. Immer wieder kicherte sie. »Ist ja nicht auszuhalten mit diesem Mann. Sag mal, wie viele Arme hast du eigentlich? Acht? Wie ein Krake kommst du mir vor.«
»Du siehst, du hast gegen mich keine Chance, also wehr dich nicht mehr«, sagte Frank.
»Hör mal, wir haben ein schönes Hotel mit wunderbar weichen Betten. Kannst du denn nicht warten, bis wir zu Hause sind?«
»Bist du denn kein bißchen romantisch veranlagt? Sieh den schönen Mond, das stille Meer, die idyllische Lagune, hör das leise Rauschen der Palmen. Das muß doch Gefühle in dir wecken.«
»Das tut es auch, aber ich kann mich beherrschen.«
»Ich nicht«, sagte Frank und versuchte sich auf das Mädchen zu wälzen.
»Wir kamen hierher, um zu baden.«
»Das können wir später.«
»Ich will aber jetzt. Komm, Frank, geh mit mir schwimmen. Du hast es mir versprochen.«
Sie drängte ihn zurück und sprang auf. Wie durch Zauberei hatte er ihr Bikinioberteil in der Hand und grinste sie an. Barbusig stand sie vor ihm, aber sie bedeckte ihre Blöße nicht. Hübsche, nicht zu große Brüste hatte sie, mit dunklen Spitzen. Jetzt zuckte sie mit den wohlgerundeten Schultern. »Dann geh ich eben oben ohne. Ist sowieso modern.«
Sie wandte sich um und schlenderte durch den Sand. Verführerisch wiegte sie sich dabei in den Hüften. Einen schönen Anblick bot sie, wie sie so auf das silbern glänzende Meer zuging. Eine Verlockung, der Frank wohl nicht lange widerstehen konnte.
Noch lag er auf der Strohmatte.
Melissa mußte sich beeilen.
Das Mädchen erreichte das Meer und tauchte die Zehenspitzen in das warme Wasser der Lagune. Sie fühlte sich wie im Paradies und ahnte nicht, wie nahe sie der Hölle war.
Melissa löste sich von der Palme, hinter der sie sich versteckt hatte. Mit loderndem Blick starrte sie auf Frank, der zurückgeblieben war.
Das
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