085 - Von den Morlos gehetzt
belustigt. Eine Weile war es still in dem kleinen, gemütlich eingerichteten Raum, dann fragte sie unvermittelt: „Wie aber erklären Sie sich überhaupt eine solche Erscheinung, Mr. Newman?“
„Geist oder Seele sind Energien. Ein Körper kann sterben und ist vergänglich, aber die Energie bleibt existent. Und ist es verwunderlich, wenn sie zuweilen Wege findet, sich wieder zu entfalten? Es gibt viele Möglichkeiten. Wiedergeburt durch Besitzergreifung des im Werden begriffenen Geistes eines Embryos zum Beispiel. Die stärkere Energie verdrängt die schwächere, oder verliert sich mit ihr. Sie wächst in ein neues Leben hinein, und später erinnert sich jener neue Mensch an Dinge, die er nur wissen kann, wenn er schon einmal gelebt hat. Sie ist ein noch völlig unbekanntes Phänomen, diese Energie, die wir Seele oder Geist nennen. Aber irgendwann einmal wird die Wissenschaft auch hinter dieses Geheimnis kommen.“
„Klar“, antwortete Laura bissig. „Das ist ja auch alles logisch. Aber findest du nicht, daß man forschen und immer wieder forschen muß, um eine Theorie beweiskräftig zu machen?“
„Stimmt genau. Alle gegebenen Möglichkeiten müssen dazu benutzt werden, die letzten Zweifel zu beseitigen. Aber was bezweckst du mit dieser Frage, Laura?“
Sie lächelte.
„Ich wollte mich nur vergewissern, ob du Dr. Warrens Behauptungen nachprüfst, bevor du deine Theorie als bewiesen ansiehst. Nun bin ich beruhigt, Rob.“
„Aber das ist doch Unsinn!“ sagte ich aufbrausend. „Du glaubst doch nicht im Ernst, daß ich mich auf die Suche nach einer Unterwelt mache, die es gar nicht gibt?“
„Dann stelle keine weiteren Behauptungen mehr auf, die nicht zu beweisen sind. Ich erkenne nur ein gewissenhaftes Prüfungsergebnis an, Rob. Deine Vorstellungen vom Jenseits können schließlich ebenso falsch sein, wie die – was du ja glaubst – des Doktors. Wir aber haben die Möglichkeit, seine Geschichte nachzuprüfen. Also – Rob?“
Ich schluckte. Sie hatte mich mal wieder festgenagelt.
„Also gut“, gab ich widerstrebend nach. „Wir werden diesen verdammten Blödsinn nachprüfen.“
Die Stufen der alten Steintreppe waren schmal und glitschig. Warren bewegte sich vorsichtig.
Die Luft wurde spürbar kälter, stickiger, feuchter. Der strenge Geruch war kaum zu ertragen. Endlich nach neun Stufen hatte er wieder festen Boden unter den Füßen. Erneut riß er ein Zündholz an. Als die kleine Flamme aufflackerte; zuckte er im ersten Augenblick entsetzt zurück. Keinen Meter neben ihm stand ein alter, halbverfaulter Holzsarg, auf dem ein paar umgefallene Kerzen lagen. Die ewige Ruhestätte der Mrs. Benneth.
Bevor das Streichholz ganz abgebrannt war, hatte er seinen anfänglichen Ekel überwunden, denn der ständige Umgang mit Toten hatte ihn hart gemacht. Rasch griff er nach einer der Kerzen und hielt das Zündholz an den Docht. Es ging aus, bevor es den feuchten Docht entzündet hatte. Erst nach weiteren drei Versuchen brannte die Kerze.
Er sah sich um. Die Gruft war klein und eng und in quadratischer Form in die Tiefe gegraben worden. Sonst konnte er nichts sehen. Trotzdem glaubte er felsenfest, daß er dem Versteck der kleinen, scheußlichen Wesen nahe war. Irgendwo mußte es eine versteckte Tür oder ein bewegliches Mauerstück geben.
Viermal suchte er sorgfältig die Wände ab, ohne auch nur die geringste Spur eines Durchgangs zu finden. Schon wollte er aufgeben, als sein Blick noch einmal auf den Sarg fiel. Wieder stieg Ekel in ihm hoch. Zu Hause, in seinem Laboratorium oder im Krankenhaus, da war der Anblick eines Toten nichts Ungewöhnliches. Doch hier herrschte eine Atmosphäre des Grauens.
Erneut ging er um den morschen Sarg herum. Noch einmal suchte er methodisch die Wände ab, aber das Ergebnis war wieder gleich Null. Das Geheimnis mußte in diesem Sarg liegen. Es gab keine andere Möglichkeit.
Er stemmte sich mit den Schenkeln gegen das Holz, versuchte das Ungetüm beiseite zu rücken, aber es war nicht von der Stelle zu bewegen. Mühsam gegen Übelkeit und Angst ankämpfend, machte er sich nun am Deckel zu schaffen. Das alte Holz war durchsogen von Feuchtigkeit und Schimmel, die glitschige Oberfläche des Deckels fühlte sich an wie ein widerlicher Schwamm.
Ein leises Schaben war zu hören, als er ihn etwas anhob, verkantet wieder aufsetzte und dann langsam zur Seite drehte. Als die Öffnung groß genug war, daß ein Mensch durch sie hindurchschlüpfen konnte, beugte er sich über sie
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