Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
085 - Von den Morlos gehetzt

085 - Von den Morlos gehetzt

Titel: 085 - Von den Morlos gehetzt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter T. Lawrence
Vom Netzwerk:
in Lauras alter Zeitschrift abgebildet war.
    „Doktor!“ rief ich. „Wo kommen Sie jetzt her? Was ist es, das Jenseits?“
    Die dunklen, klugen Augen schienen Ratlosigkeit widerzuspiegeln.
    „Ich glaube, es gibt zwei Welten. Die eine der Seele, die andere der Leiber.“ Seine Stimme klang unruhig und besorgt. „Die Gewißheit kann man auch im Tod nicht finden“, fuhr er fort. „In einer Welt weiß man nichts über die andere. Ich kenne nur die Welt der Leiber, die der Morlos. Sie ist finster und voll von Reuigen, die sich nach der Welt der Seelen sehnen. Es gibt ein Oben und ein Schattenreich. Dazwischen lebt ihr. Von oben kann man nicht nach unten und von unten nicht nach oben.“
    „Sie aber haben die Welt des Schattens gesehen“, sagte ich erschüttert. „Und Sie haben sie wieder verlassen und den Richtern von ihr berichtet.“
    „Sie geben nicht auf! Sie holen den, der ihnen gehört.“
    Die Erscheinung wurde schwächer, durchsichtiger. Elena Tichles stöhnte leise.
    „Wo ist das Schattenreich?“ fragte Laura hastig. „Rasch, Dr. Warren! Antworten Sie!“
    „Überall. Die Morlos haben ein großes Reich. Ich glaube, es ist überall.“
    „Aber man kann doch eintreten in dieses Reich!“ sagte ich eindringlich. „Nicht wahr, es gibt Wege dorthin?“
    „Sie kommen“, flüsterte die Stimme aus dem winzigen, jetzt kaum mehr erkennbaren Nebel. „Es gibt viele Wege und Millionen Reuige. Einer der Wege ist der Tod.“
    Die Stimme des Doktors erlosch. Minutenlang saßen wir wie gelähmt da, immer noch im Bann des eben Erlebten, als Elena Tichles die Augen aufschlug und sich mit einem leichten Seufzer aufrichtete.
    Erst schien sie verwirrt, dann fand sie sich wieder zurecht und fragte leise: „War – er – da?“
    Ich nickte schweigend, hörte kaum die aufklärenden Worte Lauras. Schattenreich und Welt der Seelen, ging es mir durch den Kopf. Himmel und Hölle. Nur daß beides wohl anders aussah, als wir es in der Schule gelernt hatten. Dazwischen lebte der Mensch. Unter ihm, tief in der Erde lag das Reich der Toten.
    „Hallo, Mr. Newman!“
    Ich fuhr verwirrt in die Höhe und entschuldigte mich, weil ich mit den Gedanken so abwesend war. Krampfhaft versuchte ich zu lächeln.
    „Was werden Sie jetzt tun?“ wollte Elena Tichles wissen.
    Ich sah ihr abwesend ins Gesicht.
    Ja, was wollte ich jetzt tun? Wer richtete über Gut und Böse, über Schattenreich und die Welt der Seelen …? Woher wußten die Morlos, wie Warren die Wesen genannt hatte, wer für sie und wer für die andere Welt bestimmt war? Gab es tatsächlich dieses eigentlich völlig unlogische Schattenreich der Toten tief in der Erde? Warum hatte man nie davon gehört, wenn kilometertiefe Bohrungen durchgeführt wurden, Tunnels und Gräben unter der Stadt gezogen und Schächte für Untergrundbahnen oder Bergwerke tief in die Erde gewühlt wurden?
    Ich hustete verlegen.
    „Keine Ahnung, Mrs. Tichles. Das alles klingt so verrückt und unglaubwürdig. Sprechen solche Erscheinungen eigentlich immer die Wahrheit?“
    Die alte Dame lachte und schüttelte den Kopf.
    „Nein, bestimmt nicht, Mr. Newman. Einige haben sich zu Lebzeiten in Ideen verrannt, die sie auch noch nach ihrem Tode weiterverbreiten möchten. Dann gibt es Störgeister, die nichts als Unsinn im Kopf haben und mit ihren Streichen und Lügen Verwirrung zu stiften versuchen. Einmal hatten wir eine Erscheinung in diesem Zimmer, die war besonders aggressiv. Eine junge Frau, die einem der Anwesenden eine Vase ins Gesicht schleuderte, obwohl sie ihn nicht kannte.“
    Laura sah mich fragend an.
    „Was meinst du, Rob?“
    „Ich meine, daß all diese Erscheinungen ihr früheres Lebensbild projizieren“, antwortete ich zögernd. „Darunter fallen auch ihre Gedanken, ihre Wünsche und ihre Charakterzüge. Und ihr Aussehen. Alle erscheinen so, wie sie sich zuletzt gesehen haben, obwohl ihre Körper längst vermodert sind.“
    „Und du glaubst, auch der Doktor wäre ein solches vom Leben geprägtes Spiegelbild?“
    Ich nickte.
    „Ja. Jetzt, wo ich die wirklich beeindruckende Szene von eben halbwegs verdaut habe, glaube ich, daß auch Warren die völlig unlogischen Ansichten seines einst lebendigen Ichs vertreten hat.“
    „Ich glaube ihm“, sagte Laura fest. „Ich glaube jedes Wort, das er gesagt hat.“
    Ich hatte mich wieder in der Gewalt und konnte lachen.
    „Du bist eine Frau“, sagte ich spöttisch. „Und Frauen denken selten logisch.“
    Mrs. Tichles schwieg und lächelte

Weitere Kostenlose Bücher