0852 - Feuer, Asche, altes Blut
benötigte sie zunächst einmal eine allgemeine Ausbildung, wie sie selbst einsah. Deshalb hatte sie sich in einer Schule für Erwachsene angemeldet, um dort zwei Computer-Kurse zu besuchen.
Die Schule hatte einen sehr guten Ruf. Wer sie mit Diplom verließ, kriegte meist einen Job. Da die Stunden aus dem privaten Geldsäckel bezahlt werden mußte, war für große Gammelei kein Platz. Es wurde gelernt und gearbeitet. Fünf Stunden am Vormittag, und das dreimal in der Woche. Hinzu kamen die Hausaufgaben. In der Wohnung, in der Shao und Suko lebten, stand bereits ein PC.
In der Klasse arbeiteten fünfzehn Schüler zusammen. Bis auf zwei junge Männer alles Frauen, die die gleichen Probleme hatten wie Shao. Die Chinesin hatte sich mit einer jungen Frau namens Ellen Flint angefreundet. Sie war geschieden, mußte ihre beiden Kinder allein großziehen, die zum Glück bei ihrer Mutter waren, und konnte sich ansonsten dem Neueinstieg in den Beruf widmen.
Ellen war dreiunddreißig. Sie hatte die Scheidung noch immer nicht überwunden, denn oft genug saßen die beiden Frauen nach dem Unterricht zusammen, und Ellen klagte Shao ihr Leid. Wenn ihre Eltern nicht gewesen wären, die Ellen finanziell unterstützten, wäre bei ihr einiges zusammengebrochen. So konnte sie wenigstens noch ihre Wohnung halten, in der es auch für die beiden Kinder ein Zimmer gab. Das Mädchen war acht und der Junge fünf Jahre alt.
Fünf Stunden ackern, fünf mal sechzig Minuten konzentriert sein, das schlauchte schon. Hinzu kamen die zahlreichen Informationen, die nicht via Bildschirm vermittelt wurden, sondern durch den Mund des Lehrers. Der Mann verlangte, daß die Schüler mitmachten. Wer es nicht schaffte, hatte Pech gehabt.
Als sich der Lehrer mit einem etwas breiten Lächeln verabschiedet hatte, sprangen die meisten Schüler auf, als hätten sie nur auf diese Sekunde gewartet. Sie schnappten ihre Mäntel und Jacken und flüchteten. Da unterschieden sie sich kaum von den Jugendlichen, die nach Schulschluß aus dem Gebäude hetzten, als wäre der Leibhaftige hinter ihnen her.
Zwei Frauen blieben noch sitzen, Ellen und Shao. Während Shao ihre Bücher und Hefter sowie die ausgedruckten Informationen in eine schmale Tasche packte, blieb Ellen sitzen, schloß die Augen und streckte die Beine aus.
»Ich brauche für einen Moment Ruhe«, sagte sie. »Selbst wenn ich die Augen schließe, sehe ich noch einen Bildschirm.« Sie schüttelte den Kopf. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie hektisch der Morgen war. Die Kinder haben ihre Milch umgekippt, sie haben sich gestritten, ich bin bald an die Decke gegangen.«
Ellen schüttelte den Kopf und strich mit zwei Fingern durch ihr Gesicht, als wollte sie dort tiefe Falten hinterlassen. Sie gehörte wirklich zu den Frauen, die nicht zu beneiden waren, zu den kleinen Heldinnen, die das Leben immer wieder hervorbrachte, denn sie war gleichzeitig auch eine Person, die nicht so leicht aufgab, auch wenn sie unter dem Leben ebenfalls gelitten hatte.
Das zeigte sich an ihrem Aussehen.
Sie war irgendwie gealtert. Spuren der Erschöpfung zeichneten sich in ihrem Gesicht ab, in dem die Ränder unter den Augen sichtbar waren. Das blonde Haar hätte mal eine neue Frisur vertragen können, aber sie ließ es strähnig bis auf die Schultern wachsen. Ellen Flint war eine schmale Person, die selbst Kinderkleidung tragen konnte. Shao kannte sie nur in Jeans und Pullovern, und bei etwas kühlerem Wetter zog sie immer den schon älteren Ledermantel über.
Ellen rieb die Augen, schüttelte den Kopf und atmete tief durch.
Shao stand neben ihrem Stuhl, eine Hand auf Ellens Schulter gelegt. »Geht es dir jetzt besser?«
Die Blondine schielte hoch. »Kaum.«
»Soll ich dir einen Vorschlag machen?«
»Gern.«
»Ich lade dich zu einer Tasse Kaffee und einem kleinen Imbiß ein. Ist das was?«
»Toll, Shao, danke. Aber, meine Kinder…«
»Die vergißt du mal«, sagte Shao mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete. »Du rufst bei deiner Mutter an und erklärst ihr, daß du noch etwas tun mußt.«
»Ist nicht mal gelogen.« Ellen stand auf. »Ich muß noch etwas einkaufen.«
»Das kannst du anschließend machen.«
Ellen griff nach ihrem Mantel und zog ihn über. Sie ließ ihn offen.
Shao reichte ihr die Tasche. »So, und jetzt gehen wir. Zwei schöne Stunden müssen wir uns einfach mal gönnen. Das tut nicht nur der Seele gut, sondern auch dem Körper.«
»Recht hast du, Shao, komm!« Ellen hakte sich bei Shao
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