0852 - Feuer, Asche, altes Blut
den hellgelben Haaren vor sich. Er wollte einfach nicht aus ihrem Gedächtnis verschwinden.
Es gab kleinere Imbisse. Da sich der Laden einen französischen Touch gegeben hatte, konnte man als kleinen Imbiß unter zahlreichen Croissant-Varianten wählen. Es gab sie mit Putenfleisch, mit Schinken und auch mit Käse belegt.
Zwei große Tassen bestellten sie, und Ellen hatte sich für ein Croissant entschieden. Sie nahm dann auch das mit Käse.
»Das gleiche nehme ich auch«, sagte Shao.
»Sonst noch was?«
»Zunächst nicht, danke.«
Die Bedienung, jung, dunkelhäutig und hübsch, tänzelte davon.
Ellen beugte sich vor. »Darf ich rauchen?«
»Bitte, es macht mir nichts aus.«
»Danke.«
Während sich Ellen die Zigarette anzündete, schaute sich Shao im Raum um. Sie wußte selbst nicht, wonach sie suchte, aber dieser Mann wollte ihr nicht aus der Erinnerung verschwinden. Deshalb schaute sie auch durch die große Scheibe nach draußen auf den Gehsteig, aber auch dort war er nicht zu sehen. Er wäre in seiner Kleidung selbst in dem Strom der Passanten aufgefallen.
Shao schalt sich eine Närrin, daß sie auf den Anblick dieses Mannes so allergisch reagierte. Sie hatte ihn gesehen, sie hatte ihn als eine auffällige Erscheinung eingestuft, die er auch war, da lag es auf der Hand, daß man ihn nicht so leicht vergaß. Und was seine Zähne anging, Himmel, das konnte eine Täuschung gewesen sein.
Es gab wohl kaum einen Vampir, der sich dermaßen auffällig kleidete und sich noch durch Londons Straßen bewegte.
Eine Einbildung, ein Irrtum, was auch immer.
»Der Kaffee und die Croissants, bitte.« Die nette Bedienung stand am Tisch, ging in die Knie, damit sie das Bestellte besser abladen konnte. Shao und Ellen halfen ihr dabei, was die Kleine mit einem Lächeln quittierte.
»Dann hoffe ich, daß es dir schmeckt«, sagte Shao.
Ellens Augen blitzten. »Darauf kannst du dich verlassen. Du glaubst gar nicht, wie gut es mir tut, mal hier sitzen zu können und nicht an die Kinder zu denken.«
»Kein schlechtes Gewissen?« fragte Shao lächelnd.
»Kaum.«
»Das ist gut.«
Sie aßen und tranken. Croissants mit Käse belegt schmeckte beiden Frauen gut. Shao aß es zum erstenmal, und sie spürte, daß es durchaus nicht bei einem Croissant bleiben mußte. Denn zu stark sättigte das luftige Gebäck nicht gerade.
Manchmal schaute sie hoch, um den Blick durch das Café streifen zu lassen. Sie sah auch nach draußen, aber der Mann in seiner grünen Kutte tauchte nicht wieder auf.
Ellen Flint hatte ihr Blätterteighörnchen zur Hälfte aufgegessen, als sie es auf den Teller legte. »Soll ich dir ehrlich etwas sagen, Shao?«
»Bitte.«
Sie tupfte sich die Lippen ab und schaute auf den Tisch. »In der letzten Zeit denke ich immer häufiger daran, mit der Umschulung aufzuhören.«
Beinahe hätte sich Shao an einem Krümel verschluckt. »Wie bitte?« flüsterte sie.
»Ja, aufhören.«
»Warum das denn, verflixt?«
Ellen Flint schaute der Chinesin in die Augen, und Shao sah diesen etwas traurigen Ausdruck. »Weil ich mich schlichtweg überfordert fühle, Shao. Ich habe den Eindruck, den Stoff nicht mehr packen zu können. Er stürzt über mir zusammen wie ein gewaltiges Kartenhaus. Ich kann nur noch die Hände heben und meinen Kopf schützen. Mehr ist nicht drin. Es wird alles zuviel für mich.«
Das wollte Shao so nicht akzeptieren. »Aber du bist doch gut, Ellen. Du stehst nicht hinten an.«
»Bin ich wirklich gut?«
»Doch.«
Ellen biß in ihr Croissant, trank einen Schluck Kaffee, aß den Mund leer und sagte mit einer traurig klingenden Stimme: »Du glaubst ja nicht, was am Abend noch bei uns los ist. Zwei Kinder, die mit ihrer Mutter reden wollen, die viel zu berichten haben, die auch nach Antworten verlangen. Das ist alles nicht so einfach. Mein ehemaliger Mann ist verschwunden, abgetaucht. Angeblich soll er auf einem Schiff angeheuert haben. Von dem kann ich nichts verlangen. Er hat auch nie eine Karte geschickt. Ich will dir sagen, Shao, daß mir einfach die Zeit fehlt, um am Abend noch zu lernen, weil ich eigentlich Geld verdienen müßte. Ich gehöre nicht zu den Frauen, denen alles in den Schoß fällt, ich muß in den Stunden schon ackern.«
Shao überlegte. »Was soll ich dazu sagen, wenn ich ehrlich sein soll? Ich kann mich in dich nicht hineinversetzen. Wahrscheinlich hast du recht, Ellen, aber ich möchte dich trotzdem bitten, dir noch einmal alles genau zu überlegen. Dieser Kurs ist eine große
Weitere Kostenlose Bücher