0857 - Amoklauf der Werwölfe
Vorsichtshalber hatte sie ihn so umgefüllt, damit nicht jeder schon beim Anblick der Flasche auf die Billig-Herkunft des Getränks schließen konnte. Billig war zwar nicht unbedingt schlecht, aber die Menschen haben eben ihre Vorurteile.
Sie schenkte ein und reichte Garamond eines der Gläser. »Auf das Wohl meines selbstlosen Helfers.« Sie tranken sich zu, und sie fuhr fort: »Offenbar ist das heute mal ein Glückstag. Du bist schon der zweite Mensch, der mir einfach ohne zu fragen hilft.«
»Aber jetzt hast du eine Frage.« Er lächelte.
»Richtig. Wieso bist du hier? Hast du mich verfolgt?«
»Wir haben wohl zufällig den gleichen Weg«, behauptete er. »Ich sah dich hier ins Haus gehen, das Treppenhaus blieb dunkel - da bin ich hinterher.«
»Das war nett.« Sie setzte sich neben ihn. Eine animalische Duftnote ging von ihm aus. Olivia streichelte Ralfs stoppelbärtiges Gesicht, sein dichtes Haupthaar und seine starke Brustbehaarung. Sie lächelte dabei. »Mit dem prachtvollen Pelz könntest du glatt ein Werwolf sein!«
»Pelz?« Er runzelte die Stirn mit den durchgezogenen Augenbrauen. »Du bist ganz schön frech, meine Süße!«
»Kannst du auch heulen wie ein Wolf? Wir haben gerade Vollmond… Im Moment steht er zwar noch nicht am Himmel, aber…«
»Heulen wie ein Wolf nicht, aber beißen wie ein Wolf kann ich.«
Sie grinste ihn an. »Dann mach mal.«
»MitVergnügen.« Und er biss tatsächlich zu.
Olivia schrie auf. Ralf sah nicht nur so aus wie ein Werwolf. Er war einer!
Sie versuchte, ihn zurückzustoßen. Aber es gelang ihr nicht. Seine Zähne gruben sich immer tiefer in ihren Hals. Blut spritzte aus der Wunde, während sich Ralfs Kopf in den eines Wolfes verwandelte.
Olivia schrie nicht mehr.
Nie mehr…
***
Kurz bevor Zamorra und Nicole zur Sache kommen konnten, summte das Visofon. Zamorra löste sich aus Nicoles Umarmung. »Wer ruft an?«
Auf dem Monitor erschien eine Zahlengruppe mit der Vorwahl von Lyon. Die Polizei, also kein Bildtelefon. »Gespräch akzeptiert«, sagte Zamorra resignierend.
»Tut mir gar nicht Leid, wenn ich Sie störe«, vernahmen sie Brunots abgehackte Stimme. »Aber der Werwolf - oder einer von ihnen - hat wieder zugeschlagen. Eine junge Frau wurde brutal ermordet. Ich schicke einen Wagen zum Park, der holt sie ab. In Ordnung?«
»Gar nichts ist in Ordnung«, knurrte Zamorra. »Aber wir kommen. Dauert nur noch ein paar Minuten.«
»In Ordnung.« Brunot legte auf.
»Uns gönnt aber auch keiner was«, grummelte Nicole. »Gerade, als es schön wurde…«
»Wir holen das nach«, versprach Zamorra. »Aber jetzt müssen wir erst mal sehen, ob es verwertbare Spuren gibt.«
Zwanzig Minuten später traten sie in Lyon zwischen den Regenbogenblumen hervor. Sie hatten sich mit Blastem und Dhyarra-Kristallen ausgerüstet. Damit sollte es wohl möglich sein, mit einem ganzen Wolfsrudel fertig zu werden.
»An sich ist es ja unsere Zeit - die Nachtstunden«, brummte Zamorra. In den dunklen Stunden pflegten sie auf Dämonenjagd zu gehen, weil sich die Kreaturen der Finsternis dann am ehesten zeigten.
Ein Einsatzfahrzeug wartete auf sie. Die beiden Polizisten begrüßten ihre Fahrgäste und legten dann mit Blaulicht und Sirene los.
Eigentlich wäre Zamorra lieber mit dem eigenen Wagen unterwegs gewesen. Aber es dauerte eine Weile, über kurvenreiche Straßen nach Lyon zu kommen. Mit den Regenbogenblumen ging es wesentlich schneller und einfacher.
Der Tatort war ein heruntergekommenes Mietshaus im Stadtzentrum.
»Wer hier wohnt, müsste eigentlich noch Geld dafür bekommen«, sagte Nicole naserümpfend. Selbst in ihrer Zeit als Studentin, als das Geld vorn und hinten nicht reichen wollte, hatte sie besser gewohnt. Sie war dann nach Amerika übergesiedelt, um ihr Studium dort fortzusetzen - und es nie zu Ende gebracht. Sie brach es ab, als Zamorra sie einfach so als Sekretärin engagierte, und dabei war es bis heute geblieben. [1]
Sie brauchten sich nicht einmal auszuweisen. Einer der Beamten kannte sie und ließ sie sofort durch die Absperrung.
Im Treppenhaus brannten mobile Lampen. Offenbar war die normale Beleuchtung so defekt wie der Fahrstuhl. Oben in der Wohnung befanden sich Brunot und Dr. Renoir.
»Machen Sie nie Feierabend, Doktor?«, fragte Zamorra.
»Leute wie ich werden immer gebraucht«, sagte er. »Wollen Sie die Leiche sehen? Das arme Mädchen ist regelrecht geschlachtet worden. Sieht noch übler aus als die Leiche heute nachmittag. So wie es
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