086 - Spukschloss im Mittelpunkt der Erde
Zwiegespräch mit einem
Phantom fortsetzte, durchquerte sie den Flur und betrat mit dem Topf das
Speisezimmer.
»Richtig«, sagte sie dann erfreut, als sie vorsichtig den Deckel
der Terrine hob, in die sie die Suppe gefüllt hatte. »Fasanensuppe ... sie
schmeckt köstlich .« Die Frau tauchte den silbernen
Schöpflöffel in die Terrine und füllte den Teller auf dem Tisch vor dem leeren
Platz zur Hälfte. Dabei fiel Petulia Mansing wieder auf, dass sie sich
anders verhielt als sonst. Zum Schöpfen bediente sie sich der linken Hand! Sie
wollte den Löffel, wie sie es normalerweise gewohnt war, in die rechte Hand
nehmen, stellte sich dabei aber ungeschickt an, als hätte sie nie zuvor etwas
mit der rechten Hand erledigt.
Die Suppe schwappte über den Rand der Schöpfkelle und tropfte auf
die schneeweiße, gestärkte Damastdecke . Mit der
linken Hand jedoch, die sie ein Leben lang nicht benutzt hatte und mit der sie
ungeübt war, schaffte sie es ohne jede Schwierigkeit. Petulia Mansing stellte dies fest, machte sich aber keine
weiteren Gedanken darüber. Sie schlürfte die Suppe. Dabei fiel ihr auf, dass sie wieder die linke Hand benutzte, um den Löffel zum
Mund zu führen. Während die Frau aß, plauderte sie ununterbrochen mit der
Phantomgestalt ihres Mannes. So ging das schon seit Jahren
...
Petulia Mansing trat um den Tisch herum und aß auch den
Teller leer, der für ihren Mann gedacht war.
»Die Suppe war fein, nicht wahr? Jetzt kommen die Pasteten dran.
Riechst du schon den Duft, der durchs Haus zieht? Na, du wirst eine Freude
daran haben. Sie sind wieder köstlich ... Und die Füllung, Tommy, ist anders,
als ich sie jemals gemacht habe. Nein, ich sage dir nicht, wie ich den Fleischteig
zusammengestellt habe. Das musst du schon selbst
herausfinden ...«, geriet sie ins Schwärmen nahm den Teller und stellte ihn in
ihren leeren. Auf halbem Weg zur Küche hörte sie, dass der Türklopfer betätigt wurde. Eine elektrische Klingel gab es nicht im Haus. Petulia Mansing stand einige
Sekunden wie erstarrt.
»Tommy ?« , fragte sie dann in das
Speisezimmer zurück. »Haben wir jemand eingeladen? Ich kann mich nicht daran
erinnern, dass wir Besuch erwarten. Oder hast du
etwas unternommen, ohne mich vorher in Kenntnis zu setzen? Wolltest du mich
überraschen ?«
Sie seufzte herzzerreißend.
»Du weißt, dass ich für solche
Überraschungen nichts übrig habe. Außerdem bin ich mit dem Essen nicht darauf
vorbereitet ... Ich habe nur so viel gekocht, dass es
gerade für uns beide reicht. Oh, Tommy, wie konntest du mir so etwas antun ...«
Sie lief schnell in die Küche und stellte die Teller auf die Ablage bei der
Spüle. Dann eilte sie durch den Korridor zur Haustür, an der es schon wieder
klopfte. Petulia Mansing fragte
nicht erst, wer draußen stand, sondern zog den Riegel zurück und öffnete die
schwere Eichentür.
Draußen rauschte der Regen. Aber kein Mensch stand vor der Tür.
»Tommy !« , rief die etwas verrückte Frau in das stille
Haus zurück. »Ich glaub, ich hab mich getäuscht. Es hat gar nicht geklopft. Es muss wohl gedonnert haben. Offenbar kriegen wir ein
Gewitter .« Sie warf einen Blick in den nachtschwarzen
Himmel. Dann wollte sie die Tür wieder schließen, aber das ging nicht mehr.
Ein Schatten war plötzlich über ihr. Die sonderbare Petulia Mansing konnte nicht mehr
erkennen, wer oder was es war. Ein Gegenstand sauste auf sie herab und traf
ihren Arm.
Ein Beil?
Dann wurde die blutige Klinge noch mal in die Höhe gerissen.
Diesmal traf die furchtbare Waffe den Kopf. Petulia Mansing war auf der Stelle tot. Sie lag mit übel
zugerichtetem Oberkörper im Freien, ihre Beine ragten in den halbdunklen Flur.
Der Regen klatschte auf die Tote herab und mischte sich mit dem Blut, das aus
den Wunden quoll. Es floss mit dem Wasser in einem
Rinnsal davon und gurgelte an der Hauswand entlang, hinein in den Gully. Der
schattenhafte Mörder schien wie vom Erdboden verschluckt.
Merkwürdiges ereignete sich. Obwohl Petulia Mansing tot war, bewegten sich die Finger
ihrer linken Hand. Im Tod noch schienen sie ein Zeichen formen zu wollen ...
●
Das Haus lag so weit abseits, dass die
einsam lebende Frau erst nach drei Tagen gefunden wurde. Zufällig, durch zwei
Spaziergänger, die von Cromer aus die steile Küste
entlanggegangen waren. Die Polizei wurde verständigt und nahm ihre Recherchen
auf. Bei der Untersuchung und Rekonstruktion des blutigen Dramas kamen die
damit befassten Beamten zu dem
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