086 - Und nachts kam der Vampir
abgekauft. Wenn man es recht bedenkt, kommst du eigentlich schon zu spät, mein Lieber.«
Er lächelte herzlich wie eine hungrige Hyäne.
»Warte es ab, junger Freund«, entgegnete Ferdinand betont gelangweilt. »Bei der NACHTDEPESCHE beschäftigen sie eben keine Aasfresser. Wir recherchieren und fotografieren immer selbst.«
»Dann wünsche ich dir herrliche, idyllische Aufnahmen vom Mordplatz im Abendsonnenschein. Macht ihr neuerdings auf Gartenlaube?«
»Spar dir deine Neugierde für ergiebigere Opfer auf«, meinte Ferdinand. »Ich werde dir nicht auf die Nase binden, wie meine Geschichte laufen soll. Ihr macht ja doch wieder nur den üblichen Quatsch wie »Ein Dorf in Aufruhr« oder ähnlichen Mist.«
Fred Mertens war nicht im geringsten beleidigt. Er grinste noch breiter.
»Aber die Leute wollen diesen Mist lesen. Ich habe übrigens erst vor zwanzig Minuten den ersten Bericht durchgegeben. Das wird ein Hammer, sage ich dir.«
»Hämmere nur drauflos. Willst du einen Cognac?«
»Hat dich das jetzt so mitgenommen, daß dir die Spendierhosen wachsen?«
»Unsinn. Aber ohne Cognac bist du einfach nicht zu ertragen.«
Nun zeigte Mertens doch erste Anzeichen, daß er glaubte, bei sich sittliche Werte verteidigen zu müssen. Er schniefte beleidigt.
Deshalb war jetzt die Reihe, an Ferdinand, zu grinsen. Er hatte den anderen nur ein wenig von seinem hohen Roß herunterstoßen wollen und war mit dem Erfolg seiner Bemühung recht zufrieden.
»Nimm’s nicht tragisch«, sagte er lachend. »Du wirst doch noch einen Spaß verstehen. Zwei Cognacs, Herr Wirt!«
Ohne Kommentar griff der Wirt nach der teuersten Flasche.
»Salute«, sagte Ferdinand.
»Cin, cin«, antwortete Fred.
Sie stellten gerade die Gläser zurück, als das Stimmengewirr im Raum schlagartig verstummte. Die Blicke aller wanderten zur Tür.
Ferdinand Wilkin kannte den Mann, der eben hereintrat. Er hatte vor etwa einem halben Jahr eine großangelegte Serie über die Kriminalität in Mittelstädten geschrieben und war dabei auch nach Georgenburg gekommen.
Kriminalhauptmeister. Klaus Högl hatte ihn damals bei seinen Recherchen sehr entgegenkommend unterstützt, und sie hatten sich fast ein wenig angefreundet.
Der Polizist in Zivil hatte ihn noch nicht erkannt. Seine Augen mußten sich erst an das Halbdunkel im verräucherten Gastzimmer gewöhnen.
Klaus Högl war etwa im selben Alter wie Ferdinand. Etwas über dreißig. Er war groß, aber stämmiger als er, was nicht zuletzt auf seine Vorliebe für Gebrautes und Gemälztes zurückzuführen war. Trotzdem war er immer noch schlank zu nennen. Für einen Polizisten hatte er eine verboten gesunde und sommerlich braune Gesichtsfarbe und wurde deshalb auch manchmal für einen Playboy gehalten. Nicht ganz zu Unrecht. Fast alle Mädchen im Präsidium schwärmten von ihm, und Neider sagten ihm nach, daß er diesen Umstand auch weidlich ausnütze.
Er trug trotz der sommerlichen Hitze einen Pullover und hielt einen leichten Mantel über dem Arm.
Die Gäste im Lokal nahmen ihre Unterhaltung zaghaft wieder auf und beobachteten doch aus den Augenwinkeln weiter. Er war schließlich der Mann, der gestern nachmittag die Ermittlungen geführt hatte. Es lag in der Natur der Dörfler, sich beim Anblick eines »Kriminalers« unsicher zu fühlen, und wenn sie zehnmal nichts auf dem Kerbholz hatten. Besonders der Apotheker steckte seinen dürren Hals weit in den steifen Kragen seines gestärkten Hemdes zurück.
Ferdinand Wilkin löste sich von der Theke. Der Polizeibeamte stand nicht einmal drei Meter von ihm entfernt.
»Guten Tag, großer Meister«, grüßte er jovial und streckte seine Hand aus. Überrascht wandte sich der Polizist zu ihm, und ein Flackern des Erkennens huschte über seine Augen.
»Sind Sie nicht...?«
»Ja, der bin ich. Ferdy Wilkin von der NACHTDEPESCHE. Ich habe im Lokalblatt gelesen, daß Sie mit der Aufklärung des Falles betraut wurden.«
»Leider«, sagte der Kriminalbeamte, »leider. Aber betraut ist gut gesagt. Aufgehalst hat man mir diesen Fall. Irgendwo muß ein Vorgesetzter sitzen, der etwas gegen meine nächste Beförderung hat. An dieser Geschichte beißt sich ein Schaufelbagger die Zähne aus.«
»So schlimm?«
Sie hatten die letzten Worte ziemlich leise gesprochen. Außenstehende hatten sie kaum mitbekommen.
Außer einem vielleicht. Und der kam jetzt auf die beiden Männer zu.
»Darf ich mich vorstellen?« fragte Fred Mertens. »Ich bin...«
»....der gute Freddy vom
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